Stellen sie sich vor, jemand reist in die Vergangenheit (das können auch Sie selber sein) und bringt ihren Grossvater um, ehe er ihren Vater gezeugt hat. Was wird dann aus ihnen? Wenn Sie selber der Täter sind, tritt das zusätzliche Paradoxon auf, dass Sie nach dem Mord an ihrem Großvater aufhören je existiert zu haben und daher gar nicht in die Vergangenheit reisen konnten um ihren Großvater umzubringen, weshalb ihr Großvater ungehindert ihren Vater zeugte und dieser Sie, sodass Sie sich entschließen konnten in die Vergangenheit zu reisen......
Die meisten Zeitreisen werden - abgesehen von jenen Fällen in denen jemand gegen seinen Willen in eine andere Zeit gerät - aus Neugier unternommen, oder mit dem erklärten Ziel durch Manipulation der Vergangenheit die Zukunft, also die Gegenwart des Zeitreisenden in einem gewünschten Sinn zu ändern. Dass solches Unterfangen nicht unproblematisch ist und durch eine Veränderung der Kausalkette zu unvorhersehbaren Ergebnissen führen kann, ist auch den Erfindern von Zeitreiseabenteuern klar geworden und sie haben verschiedene Möglichkeiten ersonnen um den Schaden in Grenzen zu halten.
Ray Bradbury, hat das Problem in der kurzen Erzählung "Ferner Donner" eindringlich dargestellt. Ein Zeitreisender zertritt Jahrmillionen in der Vergangenheit versehentlich einen Schmetterling und muss in seine eigene Zeit zurückgekehrt feststellen, dass sich diese ein wenig, aber unerfreulich verändert hat.
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Die Kurzgeschichte "Ferner Donner" stammt aus dem Erzählband "Geh nicht zu Fuß durch stille Straßen" von Ray Bradbury; links ein Ausschnitt aus einer Comicversion. |
Die Erkenntnis, dass selbst geringfügige Veränderungen in einer weit entfernten Vergangenheit tiefgreifende Konsequenten haben können, veranlasste Stephen King solche Manipulationen nachhaltig zu unterbinden. Wehe dem, der aus dem Tritt gerät und hinter dem Strom der Zeit, in dem er seinen festen Platz hat, zurückbleibt. Er wird mit den Resten der Vergangenheit gnadenlos von den Wächtern der Zeit aufgefressen ('Langoliers').
Andere Autoren setzen mehr auf obrigkeitliche Kontrolle und installieren Zeitpolizisten oder Timecops, die ständig aus einer von Zeitbeben gebeutelten Gegenwart in die Vergangenheit eilen, um den Störenfried, der unbefugt am Zeitfluss herumpfuscht, zur Strecke zu bringen. Ich fürchte nur, dass sie bei diesen Unternehmungen selbst erheblichen Schaden anrichten, zumindest wenn man den strengen Maßstab Bradburys anlegt.
Letztlich gibt es jede Menge harter Burschen, die sich um so spitzfindige Überlegungen nicht kümmern und ungeniert die Vergangenheit ändern wollen, weil ihnen in ihrer Gegenwart etwas nicht passt.
Der derzeit bekannteste von ihnen ist wohl Arnold Schwarzenegger, der als (böser) Terminator 1 in die Vergangenheit reist, um durch einen Mord die Situation in seiner Zukunft zu klären und als (guter) Terminator 2 und 3, um eben diesen Mord zu verhindern.
Manche Autoren versuchen uns mit der Behauptung zu beruhigen, dass die einmal eingetretene Realität eine hohe Konstanz aufweist und dazu neigt, soweit als möglich in ihrer ursprünglichen Form zu verharren, auch wenn an ihren in der Vergangenheit liegenden Bedingungen etwas verändert wird. Wenn ich mir anschaue, was manche Zeitreisende aufführen, kann ich nur hoffen dass das stimmt.
Einen Ausweg bietet die Annahme einer unendlichen Zahl von Paralleluniversen, in denen jede mögliche Wirklichkeit existiert. Da macht es nichts, wenn man den historischen Verlauf in einem Universum ändert, denn man wechselt nur zwischen schon vorgegebenen Alternativen.
Parallelweltengeschichten haben sich zu einem eigenen, gar nicht so kleinen Zweig der SF- Literatur entwickelt. Sie weisen eine direkte Verwandtschaft zu den frühen Utopien und den Zeitreiseabenteuern auf.
Genauso wie die Sozial- und Staatsutopien zeigen sie eine mögliche Entwicklung, ausgehend von einer bestimmten historischen Situation auf. Anders als die klassischen Utopien nehmen sie aber nicht die Gegenwart zum Ausgangspunkt der Zukunftsprognose, sondern ein bereits in der Vergangenheit liegendes historisches Ereignis und zeigen, dass es auch ganz anders hätte kommen können.
Ihr bevorzugtes Thema ist das Entwerfen geschichtlicher Hypothesen nach dem Muster: Wie wäre die Weltgeschichte verlaufen wenn...Napoleon die Welt erobert hätte, die Südstaaten den amerikanischen Bürgerkrieg gewonnen hätten, Hitler den zweiten Weltkrieg gewonnen hätte usw.
In der Zeitreiseliteratur im engeren Sinn vermeidet die Annahme einer unendlich grossen Zahl von parallen Universen, in denen alle möglichen Entwicklungen nebeneinander existieren, das Auftreten von Zeitparadoxen.
Ein jüngerer, der Fantasyliteratur zuzurechnender Zweig der Parallelweltgeschichten verzichtet überhaupt auf konkrete historische Bezugspunkte, sondern erschafft eigene Traum und Zauberwelten, die detailreich geschildert werden, aber mit der realen Welt nichts mehr zu tun haben. Es ist nun möglich sich in Zeiten zu bewegen, die dem Mittelalter oder jeder anderen beliebigen Zeitepoche entsprechen, ohne sich aber um historische Bezüge oder in der Zukunft liegende Implikationen kümmern zu müssen. Diese Fantasiewelten werden entweder ausdrücklich als Parallelwelten geschildert, oder auf fremden Sternen angesiedelt, oder ihre Existenz wird überhaupt nicht begründet, womit sie sich ehrlich dazu bekennen, dass sie in eine Märchenwelt gehören. Tatsächlich weist diese besondere Spielart der Fantasyliteratur oft mit Drachen, Hexen, Zaubereren, Zwergen, Riesen usw. deutlich märchenhafte Züge auf. Dieser Literaturzweig, an dessen Anfängen Tolkiens Romantrilogie "Der Herr der Ringe" einen herausragenden Platz einnimmt, umfasst inzwischen einen beachtlichen Sektor der Fantasy-Literatur und erfreut sich bei vielen Heranwachsenden und Erwachsenen grosser Beliebtheit. Die Nachbarschaft zu den sogenannten "Rollenspielen", bei denen Mitspielende in den verschiedensten Modifakationen die märchenhafte Handlung selbst gestalten oder sich zumindest zwischen vorgegebenen Alternativen bewegen, ist unverkennbar. Es wird dabei die kindliche Märchenwelt ganz bewußt ins Erwachsenenalter transferiert. Man könnte in Abwandlung des Buchtitels von Bettelheim sagen: "Auch Erwachsene brauchen Märchen".
Der Wunsch, Geschöpfe und Gesellschaften der Vergangenheit hautnah zu erleben und die Erkenntnis, dass die Vergangenheit letztlich ja doch nur in unserer Fantasie erreichbar ist, ließ noch einen anderen Zweig der Fantasieliteratur entstehen, der sich unter dem Begriff "Lost World" zusammenfassen läßt.
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