Lost World

Refugium der Vergangenheit

Schon Mitte des 19 Jhdt., noch ehe H.G. Wells die Zeitmaschine erfunden hatte, bestand der literarische Wunsch in die Vergangen zu reisen und zwar nicht nur im Traum, sondern leibhaftig, um die Welten der Vorzeit hautnah zu erleben. Den erzählerische Ansatz dazu bildete das Lost-World-Motiv, das davon ausgeht, dass irgendwo auf unserem Planeten noch isolierte, unerforschte Gebiete existieren, in denen Verhältnisse wie vor Jahrmillionen, oder auch nur vor Jahrtausenden bestehen. Begünstigt wurde diese Annahme dadurch, dass es in dieser Zeit tatsächlich noch weisse Flecken auf der Landkarte gab, die gross genug waren, um als Schauplatz in Frage zu kommen.
Wissenschaftlich begründet wurde diese Möglichkeit durch die Theorie der parallelen Evolution, die um 1900 sehr verbreitet war und behauptet, dass sich die Evolution an jedem Ort und zu jeder Zeit nach demselben vorgegebenen Muster vollzieht, weshalb an verschiedenen Orten zeitversetzte oder zeitverzögerte aber idente Entwicklungslinien durchaus denkbar seien.
Es handelt sich dabei nur im entfernten Sinn um Zeitreiseabenteuer, die gemeinsamen Wurzeln und die enge Verwandtschaft mit dieser Literaturgattung sind aber unverkennbar.

"Reise zum Mittelpunkt der Erde" ist ein Roman des französischen Schriftstellers Jules Verne. Das Buch wurde erstmals 1864 unter dem Titel 'Voyage au centre de la terre' veröffentlicht.
Ziel der Reise ist das Innere der Erde, die in der Tradition der Hohlwelttheorie eine riesige Höhle in sich birgt, in der eine eigene Welt existiert. Die Reisenden, die durch den Krater eines Vulkanes hinabgestiegen sind, finden urzeitliche Verhältnisse vor, in denen sich Dinosaurier tummeln, und werden, nachdem sie viele Gefahren bestanden haben, durch einen Vulkanausbruch wohlbehalten an die Oberfläche zurückbefördert.

1912 wurde Sir Arthur Conan Doyles Abenteuerroman Die verlorene Welt (The Lost World) veröffentlicht, in dem Professor Challenger auf einem Hochplateau in Südamerika ausgestorben geglaubte Dinosaurier und frühzeitliche Menschenformen entdeckt.
Mit dem Roman "Die verlorene Welt" führte Arthur Conan Doyle die Figur des Professor Challenger ein, die jedoch niemals die Popularität seines ersten Helden Sherlock Holmes erreichte. Trotzdem ist 'Die verlorene Welt' zu einem Klassiker der Abenteuerliteratur geworden und hat einer speziellen Spielart der Fantasieliteratur ihren Namen gegeben. Der Stoff wurde mehrfach verfilmt.

Der hauptsächlich durch seine "Tarzan"-Romane bekanntgewordene Autor Edgar Rice Burrough veröffentlichte 1918 die Trilogie "Caprona - Im Reich der Dinosaurier" ('The Land that Time Forgot'): Während des ersten Weltkrieges wird ein Schiff versenkt. Die Überlebenden retten sich auf eine unbekannte Insel. Auf der Insel finden sie sich in einer phantastischen Welt wieder, die teilweise von Dinosauriern beherrscht wird. Die Geschichte wurde 1975 auch verfilmt.

Eine andere Variation dieses Themas stellt die Annahme dar, in entlegenen Gebieten der Erde hätten sich unverändert Reste antiker Zivilisationen erhalten. Beginnend mit den Fantasyromanen Henry Rider Haggards bis hin zu Comics wird diese Spielart ausgiebig strapaziert. Ein illustratives Beispiel aus der Comicgeschichte sind die von Russ Manning in den 60er und 70er Jahren gezeichneten Tarzangeschichten. Der imaginäre Dschungel Tarzans, so wie ihn Manning schildert, ist angefüllt mit mit urzeitlichen und märchenhaften Geschöpfen und Reichen, in denen beispielsweise das Rom der Antike oder alte ägyptische Reiche überlebt haben.

Jule Vernes Reisende zum Mittelpunkt der Erde sind am Ufer eines urzeitlichen Meeres, tief im Inneren der Erde angelangt, wo sich Saurier tummeln.
Arthur Conan Doyles Reisende müssen sich auf einer bisher unerforschten Hochebene in Südamerika gegen räuberische Flugsaurerier wehren (Illustrationen aus frühen Ausgaben).
Russ Mannings Tarzan wird im Tal des vergessenen Impriums in altrömische Intrigen verwickelt (1974)
Aber auch sonst bietet sein Dschungel viele Überraschungen, wie etwa überlebende Saurier (1971).

Im Lauf der Zeit wurden die Gebiete, in denen man bisher unentdeckte antike Reiche und überlebende Saurier ansiedeln konnte, immer weniger. Es entstand der Gedanke, die Vergangenheit, wenn sie sich faktisch nicht mehr erreichen ließ, einfach zu rekonstrieren. Und zwar nicht nur in Erzählungen und Filmen, in denen man wie durch ein Fenster in die Vergangenheit blickte, sondern real, zum Anfassen. Dass solch ein Unterfangen auf reges Interesse des Pukliums stoßen musste, beweisen beispielsweise die zahlreichen Ritterspiele, bei denen die Besucher in historischen Kostümen den Alltag im Mittelalter nacherleben wollen. Auch ist es keineswegs ungewöhnlich, wenn an Ausgrabungsstätten (etwa in Carnuntum an der Donau) den (zahlenden) Besuchern Komparsen in altrömischen Gewändern einen Eindruck vom Leben in einer römischen Stadt um 200 n. Chr. zu vermitteln suchen. Es war nur ein kleiner Schritt diesen Trend literarisch zu vertiefen und höchst beängstingende

Rekonstruktionen der Vergangenheit

zu schaffen, wofür in erster Linie der Bestsellerautor Michael Crichton verantwortlich ist, in dessen Werken sich kritische Töne finden, die an die alten Sozialutopien erinnern.
1972 kam sein Sciencefiction-Thriller "Westworld" in die Kinos. "Westworld" war die erste Regie-Arbeit Michael Crichtons, der auch das Buch geschrieben hatte. Für tausend Dollar täglich stehen im Vergnügungspark 'Delos' drei perfekt nachgebildete historische Landschaften zur Verfügung: das alte Rom, die Ritterszeit und "Westworld", der Westernpark. Alle drei Welten werden von Androiden bevölkert, die von echten Menschen nicht zu unterscheiden sind. Ob man sich nun den Liebeskünsten einer römischen Vestalin hingibt oder sich im Duell mit einem Revolverhelden misst, spielt keine Rolle: Der zahlende Besucher bekommt immer seinen Willen und siegt in jedem Zweikampf. Doch plötzlich versagt diese Programmierung. Die Damen zeigen sich widerspenstig, der schwarze Ritter macht kurzen Prozess mit seinem Herausforderer und der Revolvermann knallt die Touristen ab. "Westworld" war ein Erfolg und fand mit "Futureworld", 1976 eine themengleiche Fortsetzung.

Mit dem Buch "Jurassic Park", das 1993 unter der Regie von Steven Spielberg verfilmt wurde, griff Crichton das Thema neuerlich auf und variierte es. Der reiche Unternehmer Hammond errichtet auf einer einsamen Insel heimlich einen Erlebnispark, der für seine Gäste außergewöhnliche Attraktionen bereithält. Es ist gelungen, aus einer urzeitlichen DNA leibhaftige Dinosaurier ins Leben zu rufen. Auch hier machen sich die künstlich geschaffenen Geschöpfe der Vergangenheit selbständig, durchbrechen alle Sicherheitseinrichtungen und machen Jagd auf die ersten Gäste. Die überaus erfolgreiche Verfilmung fand inzwischen zwei Fortsetzungen.
Die Vorliebe Crichtons für Erzählungen, die im Zeitreiseumfeld angesiedelt sind, findet letztlich in seinem auch erfolgreich verfilmten Buch "Timeline", das eine echte, klassiche Zeitreisegeschichte ist, ihren Ausdruck, womit sich der Kreis schließt.


Zum Schluss:

Die Auswahl der zitierten Bücher und Filme folgt meinen persönlichen Vorlieben und könnte nahezu beliebig erweitert werden.

Wie wir Zeitreisende zum Abschied zu sagen pflegen: Komm bald wieder, vielleicht bin ich dann noch da. Denn man weiß nie was gestern sein wird.

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