Zeitreiseabenteuer, die im Grenzbereich zwischen Fantasy und Science Fiction angesiedelt sind, erfreuen sich seit Jahrzehnten zunehmender Beliebtheit beim Publikum.
Denn es wird wohl schon jeder mit dem Gedanken gespielt haben, wie es wäre, in die Vergangenheit zurückzukehren und die Weichen für das künftige Leben anders und besser zu stellen oder einfach nur über das Forum Romanum zur Zeit Cäsars zu spazieren.
Das grundlegende Konzept jeder Zeitreisegeschichte besteht darin, dass der Protagonist den ihm zugewiesenen Platz im Ablauf der Zeit verlässt und sich - auf welche Weise auch immer - in eine andere Zeitepoche begibt.
Jeder, der eine Geschichte über eine Zeitreise erzählen will, muss sich daher drei Fragen stellen:
Auf welche Weise soll die Zeitreise bewerkstelligt werden?
In welche Richtung und wohin soll es gehen?
Welche Auswirkungen könnte so ein Ausbruch aus der Zeitlinie haben?
Diese Fragestellungen waren von Anfang an nicht so selbstverständlich. Wenden wir uns daher zunächst den literarischen Anfängen der Zeitreisen zu, um zu sehen, wo die Wurzeln dieser heute so verbreiteten Literaturgattung liegen.
Die Begriffe 'Utopische Literatur', 'Zukunftsroman', 'Science- Fiction' werden ohne strenge Trennung synonym für eine ganze Literaturgattung verwendet, deren Wesen darin besteht, dass die Handlung in einer mehr oder weniger fernen Zukunft liegt und eine vorstellbare Entwicklung gegenwärtiger Verhältnisse auf gesellschaftlicher und technischer Ebene in die Zukunft projiziert wird.
Tatsächlich spiegeln die Begriffe 'Utopische Literatur', 'Zukunftsroman', 'Science- Fiction' aber auch die Entwicklung dieses Genres wieder. Am Anfang standen die
Unter Utopien im engeren Sinn versteht man eine Literaturgattung, in welcher wünschenswerte staatliche und soziale Entwicklungen nicht bloß theoretisch sondern in einer Rahmenhandlung geschildert werden. Parallel dazu entstehen auch Werke, in welchen gleichermaßen, bisweilen in satyrischer Form vor Fehlentwicklungen gewarnt wird. Solche negative Formen der Utopien bezeichnet man mit einem neueren Ausdruck als Dystopien.
Staatsutopien sind eine sehr alte Literaturgattung. Das bekannteste Beispiel aus dem Altertum ist Platon's Atlantis. Am Beispiel eines imaginären, auf einer nunmehr versunkenen Insel gelegenen Staates, legt der Philosoph so anschaulich seine Vorstellungen von einem idealen Staat dar, dass noch nach mehr als 2000 Jahren viele Menschen davon überzeugt sind, dass es Antlantis wirklich gegeben hat.
Tatsächlich aber hat Platon nur das getan, was nach ihm alle Verfasser von Staatsutopien getan haben. Er hat seine Geschichte in einer fiktiven (der Nachprüfung entzogenen) Realität angesiedelt. Das ist vom Erzählerischen her notwendig, weil es die geschilderten Verhältnisse in der Wirklichkeit ja tatsächlich nicht gibt oder gegeben hat, die Rahmenhandlung aber einen entsprechenden historischen Hintergrund braucht. Ausserdem wurden Utopien mit ihren Gesellschaftsentwürfen oft nicht zu Unrecht als Kritik an bestehenden Verhältnissen angesehen und durften daher keine allzu realen Bezüge auf jene Mächtigen aufweisen, in deren Einflussbereich der Autor lebte. Es war daher meist klug, die Utopie weit weg von jenem Staat anzusiedeln, in welchem sich der Autor aufhielt. Dafür boten sich im Wesentlichen zwei Möglichkeiten an, die auch miteinander kombiniert werden konnten.
1. Die örtliche Distanzierung: Die Handlung wurde an einem geografisch weit entfernten, mit den Mitteln der Zeit weder lokalisierbaren, noch erreichbaren Ort angesiedelt.
Hervorragende Beispiele dafür sind Platons Atlantis, Thomas Morus Utopia, Jonathan Swifts Gulliver oder Cyrano de Bergeracs Mondstaaten und Sonnenreiche.
der griechische Philosoph Platon (um 400 v. Chr.) siedelt Atlantis jenseits der Säulen des Harakles (die Meerenge von Gibraltar) an, draußen im Atlantik, von dessen Ausdehnung die alten Griechen nur unklare Vorstellungen hatten. Platon verschleiert seine Fiktion noch stärker. Er läßt sie in weiter zeitlicher Distanzierung von der Gegenwart entstehen und beruft sich auf Solon, der die Geschichte etwa 200 Jahre zuvor von einem ägyptischen Priester erfahren haben soll. Atlantis war nach der Erzählung gross und mächtig, die Atlantier waren gegen ganz Europa und Asien zu Felde gezogen. Ein derartiges Land wäre trotz seiner Lage im Atlantik auch in der Gegenwart des Autors nicht unbekannt gewesen. Es war daher eine für Utopien typische erzählerische Notwendigkeit, den Ort der Handlung nachhaltig der realen Gegenwart zu entziehen. Platon ließ Atlantis spurlos im Meer versinken. Man kann darüber spekulieren, inwieweit sich Platon von tatsächlich stattgefundenen historischen Katastrophen inspiriern ließ. Atlantis selbst hat er aus dem Nichts heraus erschaffen, um sein Gedanken zu illustrieren und danach wieder im Nichts verschwinden lassen, um nicht mit der historischen Wirklichkeit in Konflikt zu geraten. Bei Inseln geringerer Größe und Bedeutung erübrigen sich derartig drastische Bereinigungen; es genügt, sie in den Weiten des Ozeans zu verstecken.
Thomas Morus, der spätere Lordkanzler Englands veröffentlichte 1516 ein Werk mit dem Titel "De optimo republicae statu deque nova insula Utopia". In Form eines fiktiven Reiseberichtes erzählt er über die Insel Utopia auf welcher er ein Staatswesen vorgefunden hat, das sich wohltuend von den Mißständen im England seiner Zeit unterscheidet.
Morus folgt dabei den litararischen Spuren Platons. Sein Werk hat der Litaraturgattung der frühen Zukinftsromane den Namen gegeben: 'Utopische Literatur'.
Auch Jonathan Swift läßt seinen Helden Gulliver ("Reisen zu verschiedenen weit entlegenen Völkern der Erde von Lemuel Gulliver, erst Wundarzt, dann Kapitän verschiedener Schiffe"; 1726) auf verschiedenen Inseln landen und dort unterschiedliche Staatsformen kennenlernen. Es handelt sich um eine zutiefst pessimistische, beißende Kritik an den herrschenden Gesellschaftsstrukturen und den Möglichkeiten ihrer Verbesserung. Das Werk wird man wohl zu den Dystopien rechnen müssen. Da Swift seine ätzende Kritik zusätzlich durch märchenhafte Elemente, wie Zwerge, Riesen und vernunftbegabte Pferde maskierte, geriet er in späteren Jahrhunderten in den Ruf eines Kinderbuchautors. 'Gullivers Reisen' ist seither in bearbeiteter, gekürzter und verfälschter Form in unzähligen Ausgaben erschienen und aus dem Katalog der klassischen Kinderbücher nicht mehr wegzudenken.
Cyrano de Bergarac (Savinien Cyrano, geboren 1619) siedelt seine Utopien ('Die andere Welt oder die Staaten und Reiche des Mondes' und 'Die Staaten und Reiche der Sonne') überhaupt im Weltall an und übt in diesem Rahmen heftige Kritik an den bestehenden Zuständen. Anders als Swift, der von ihm beeinflußt etwa hundert Jahre später 'Gulliver' schreibt, ist sein Werk aber nicht von jener Menschenverachtung geprägt, welche den (unbearbeiteten) 'Gulliver' kennzeichnet. Bemerkenswert ist bei Cyrano, dass er bereits naturwissenschaftliche Gedanken zu seiner Reise in den Weltraum anstellt und damit als Vorläufer der technisch orientierten Raumfahrerliteratur angesehen werden kann.
2. Die zeitliche Distanzierung:
Die zweite Möglichkeit Utopien von der existierenden Wirklichkeit zu distanzieren, bestand darin, sie in einer anderen Zeit spielen zu lassen.
Das konnte die Vergangenheit oder die Zukunft sein. Utopien in der Vergangenheit anzusiedeln, warf das Problem der historischen Bereinigung auf, wie wir bereits bei Platons Atlantis gesehen haben. Es bot sich geradezu die Zukunft an, zumal die weißen Flecken auf der Landkarte immer kleiner wurden und unbekannte Inseln brauchbarer Größe kaum mehr plausibel waren. Der Gedanke Utopien in der Zukunft spielen zu lassen weist direkt den Weg zur Zukunftsliteratur (SF) so wie wir sie heute kennen.
Während es bei einem modernen Werk der SF überhaupt kein Problem bereitet, den Leser in eine beliebige Zeit und eine phantastische Umgebung zu entführen, war das bei den frühen Gesellschaftsutopien nicht so. Die gedankliche Bindung an die Gegenwart und ihr kritischer Vergleich mit einer möglichen Zukunft waren weit stärker ausgeprägt. Der erzählerische Kunstgriff bestand darin, den Helden der Geschichte in die Zukunft zu versetzen, wo er das Staunen des Lesers über die Entwicklung der Gesellschaft teilte und kommentierte. Damit waren die Grundlagen für literarische Zeitreisabenteuer gelegt.
Die ersten Zeitreiseabenteuer standen daher in der Tradition der Gesellschafts- und Sozialutopien.
Später entwickelte sich daraus eine Spielart der SF- Literatur, in welcher die Leute aus den verschiedensten Gründen durch die Zeit reisten, vor und zurück. Es entstand bei den Zeitreisenden sozusagen eine Art Massentourismus.
Eine Frage hatten die Autoren solcher Geschichten aber immer von vorn herein zu lösen: Wie sollte die Zeitreise bewerkstelligt werden?
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