Etwas mehr als zehn Jahre nachdem 1868 Ten little Niggers in Amerika als Spottlied auf Indianer und Schwarze entstanden war, finden wir den Song bereits in England als Auszähllied in Sammlungen von Kinderreimen. Im deutschen Sprachraum tauchten die Negerlein - soweit mir bekannt - erstmals 1885 in dem Buch Aus Kamerun auf. |
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Aus Kamerun ist nicht nur die wahrscheinlich älteste deutschsprachige Version der 'Zehn kleinen Negerlein', sondern nach meiner Meinung auch eine der am originellsten gezeichneten. |
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Für das Ende der Geschichte von den zehn kleinen Negerlein gibt es zwei Versionen: In der älteren Version überlebt das letzte Negerlein, nimmt eine Frau und bekommt Kinder, wodurch das Lied als Kettengesang von Anfang an wiederholt werden kann ( Beispielsweise: 'Ein kleines Negerlein, das sah ein Mädchen stehn, das nahm er sich zu seiner Frau, da wurden's wieder zehn'). |
Die 12 Negerlein |
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Es gibt noch eine andere Ausgabe der 12 kleinen Negerlein von Gareis, die vermutlich gleichfalls um 1910 bei Ferd.Carl Loewes Verlag Stuttgart erschienen ist. Es handelt sich ein Faltbilderbuch. |
Nun war es gewiss nicht so, dass die Geschichte von den 'zehn kleinen Negerlein' Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland einfach und ohne besondere als rassistisch zu beurteilende Motivation als Kinderlied übernommen wurde. Denn in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts trat Deutschland in den Kreis der Kolonialmächte ein und erwarb überseeische Gebiete, hauptsächlich in Afrika mit allen damit verbundenen Problemen mit der dort ansässigen Bevölkerung. Kamerun, auf welches das Buch Aus Kamerun Bezug nimmt war von 1884 – 1919 deutsche Kolonie und konnte hauptsächlich im Landesinneren nur schrittweise unter die Kontrolle der deutschen Kolonialherrn gebracht werden. Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung und Aufstände, denen mit militärischen Mitteln begegnet wurde, waren keine Seltenheit. Ähnlich war die Situation auch in den anderen afrikanischen Kolonien Deutschlands. |
Oben: Aus dem Gartenlaube-Bilderbuch, das 1903 (?) erstmals erschienen ist und bis 1922 (?) mehrere inhaltlich gleiche und sich nur im Titelbild unterscheidende Auflagen erlebte: Die zehn Negerbuben von Arpad Schmidhammer |
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Hatten die ersten Publikationen der 'zehn kleinen Negerlein' auch in Deutschland also noch durchaus einen rassistischen Hintergrund, ging diese Sicht nach dem Verlust der Kolonien schon in der Zwischenkriegszeit und vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend verloren und die Geschichte wurde unreflektiert einfach als 'altes' Kinderlied verstanden. Erst eine zunehmende Sensibilisierung zu dem Thema 'Schwarzafrikaner und Rassismus' in den letzten Jahren hat zu einer Neubewertung geführt. |
Die Abbildungen oben stammen aus Die Geschichte von den 10 kleinen Negerbuben in heiteren Reimen und vielen bunten Bildern von Adolf Uzarski, Mainz, Jos. Scholz 1925 Scholz' Künstler-Bilderbücher, No 196: "Klipp-Klapp"-Kettenbücher in Leporelloform. |
Ebenfalls aus dem Jahre 1925 stammen Die zehn kleinen Negerlein von Heinrich Hussmann, erschienen bei Schlüter & Ulbrich. |
Oben: Zehn kleine Negerbuben, Illustrationen von Beatrice Braun-Fock, erschienen 1935 im Verlag Josef Scholz, Mainz. |
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Der Ausschnitt oben stammt aus der weitverbreiteten Werbekinderzeitung Die Rama-Post vom lustigen Fips, 3. Jg. Nr. 16 (1927/28) und belegt einmal mehr durch das Beifügen 'Volkslied', dass schon damals die Kenntnis vom Ursprung der Geschichte von den Zehn kleinen Negerlein weitgehend verlorengegangen war. Man betrachtete es als festen Bestandteil der deutschen Kinderliteratur und fast jeder bekannte Zeichner hat dazu seine Version abgeliefert. |
In Amerika und England wurden vor allem in älteren Versionen die 'Negerlein' teilweise als junge Männer dargestellt. Das entsprach der Entstehungsgeschichte des Liedes, in der es ja nicht darum ging, das Umkommen von Kindern zu beschreiben, sondern die schwarze Bevölkerung zu verspotten. Im Deutschen wurden die 'Negerlein' entsprechend dem Verständnis, dass es sich dabei (nur) um einen Kinderreim handle, als Kinder und das ihnen zugestoßene Ungemach als Folge unvorsichtigen Verhaltens, vor dem kleine Kinder gewarnt werden sollten, dargestellt. |
Nach dem zweiten Weltkrieg sind bilderbuchartige Ausgaben von Zehn kleine Negerlein bis in die 70er recht häufig zu finden. Teilweise wurde das Buch sogar als Lernbehelf beworben, um kleinen Kindern das Zählen beizubringen. |
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Es entstanden jetzt vermehrt Variationen, in denen die kleinen Negerlein durch Häschen, Hunde, Katzen usw. ersetzt wurden. |
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Neben traditionellen Ausgaben ist bereits ab Mitte der 50er Jahre die Tendenz zu erkennen, die Geschichte von den Negerlein und deren zeichnerische Darstellung unter Beibehaltung des Zählreimes freundlicher zu gestalten. |
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Die ursprüngliche Geschichte von den zehn kleinen Negerlein ist auch in der Tradition jener Kinderbücher zu sehen, welche der sogenannten 'schwarzen Pädagogik' zugeordnet werden. Kindliches Fehlverhalten wird mit drastischen Folgen bestraft (vgl. 'Der Struwwelpeter' ua.). Auch die Negerlein zeigen in der Kinderbuchversion ein Verhalten, von dem Kinder abgehalten werden sollen: Klettern auf eine Scheune, Hantieren mit einem Gewehr, Necken einer 'Hex', Stehlen, in die Sümpfe gehen, sich überfressen, Bier saufen, zu lange in der Sonne bleiben, usw. |
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Erst in den 60er und 70er Jahren begann man (auch) auf dem Gebiet des Kinderbuches deren sozialhistorischen Hintergrund näher zu betrachten und kritisch zu beurteilen. Anders als bei Hatschi Bratschis Luftballon, wo die nationalsozialistische Verstrickung seines Autors (Franz Karl Ginzkey) schon früh einen vordergründigen Ansatzpunkt für eine ablehnende Beurteilung bot, hatte man bei den zehn kleinen Negerlein offenbar lange keine Überlegungen in Richtung Rassismus angestellt. Nun aber begann man zunehmend Versionen zu veröffentlichen, die nicht nur das ständige Umkommen der Negerlein vermieden, sondern sich auch bemühten, dem Vorwurf rassistisch zu sein, keine Angriffsfläche zu bieten. |
Oben links: Die geglättete Version von James Krüss (Autor) und Horst Lemke (Zeichnungen) aus den 60er Jahren. 'Eine Musikalische Reise durch die Welt und das Einmaleins'. |