Kinder und Werbung

von 1900 bis in die frühe Nachkriegszeit
Teil 2


Kinder als Kaufmotivatoren

Das Zugabewesen ist eine spezielle Werbestrategie, deren Prinzip darin besteht, einem Produkt Nebenleistungen beizugeben, die mit dem Produkt selbst nichts oder nur wenig zu tun haben. Meist handelt es sich bei den so beworbenen Waren um Verbrauchsprodukte, die immer wieder angeschafft werden. Durch die regelmäßig zu erwartende Zugabe wird der potentielle Käufer auf eine bestimmte Marke fixiert. Die Möglichkeiten sind vielfältig und reichen von Preisauschreiben über Rabbattmarken bis zu Zeitschriften, Sammelbildern, kleines Spielzeug oder kleine Gebrauchsgegenstände. Ein wesentliches Element bildet dabei der Sammeltrieb des Käufers, der sehr gut bei Fortsetzungsgeschichten, Spielzeug oder Sammelbildern zum Tragen kommt. Das Zugabewesen, das in seiner ganzen Vielfalt hier nicht im Einzelnen dargestellt werden kann, wurde sehr bald als wettbewerbsverzerrend erkannt und bereits in der Zwischenkriegszeit unter dem Gesichtspunkt des unlauteren Wettbewerbs einer restriktiven gesetzlichen Regelung unterworfen, die erst jetzt eine gewisse Lockerung erfährt.

In jüngerer Zeit wurde das Marketingkonzept, zielgruppenorientiert Waren verschiedener Art miteinander zu kombinieren, aus dem Zugabewesen herausgelöst und perfektioniert. Auf dem Gebiet der kindergerechten Produkte denke man dabei etwa an die YPS- Hefte der 70er und 80er Jahre: Einer Art Kinderzeitung wurde regelmäßig ein interessantes Plastikspielzeug beigelegt. Dieses Konzept wird von den Micky Maus- Heften fortgeführt, wobei das beigegebene Gimmick im vorgegebenen Rahmen immer raffinierter wird; manchmal handelt es sich schon um kleine elektronische Geräte. Ein anderes bekanntes Beispiel sind die Kinder- Überraschungseier, bei welchen Süssigkeit mit Spielzeug, das gezielt den Sammeltrieb anspricht, kombiniert wird.

Bis in die 50er Jahre verfügten Kinder nicht über genügend finanzielle Mittel um als direkte Zielgruppe der Werbung in Frage zu kommen. Dennoch wurden sie für Zwecke der Werbung instrumentalisiert. Das funktionierte so: Einem Produkt einer Marke wurde eine Zugaben beigelegt, die für das Kind des Käufers bestimmt ware. Eine andere Möglichkeit bestand darin, diese Zugabe nicht an eine bestimmte Marke, sondern an den Einkauf in einem bestimmten Geschäft oder Warenhaus zu binden.
Man darf sich nun nicht vorstellen, dass Kinder in direkter Weise insistierten, um ihre Eltern zum Kauf einer bestimmten Ware zu bewegen, um in den Besitz der Zugabe zu kommen; das hätte wahrscheinlich nur zu Ärger geführt. Das System funktionierte viel raffinierter: Die Zugabe war so gestaltet, dass sie nicht nur für das Kind begehrenswert war, sondern auch seinen Eltern gefiel und nützlich erschien. Sobald innerfamiliärer Konsens bestand, ein bestimmtes Produkt zu kaufen, nicht nur weil es als qualitätsvoll eingeschätzt wurde, sondern weil auch das Kind Freude an der Zugabe hatte, der wiederum auch die Eltern einen gewissen Wert beimaßen, war das Werbekonzept voll aufgegangen.

Bis zum ersten Weltkrieg bestanden die Zugaben für Kinder hauptsächlich in kleinen Druckwerken, Heftchen mit belehrendem und unterhaltsamen Inhalt. Das hat seine Ursache darin, dass solche Zugaben leicht herzustellen waren, die technischen Möglichkeiten kleines als Zugabe geeignetes Spielzeug herzustellen noch sehr eingeschränkt waren und mangels billiger Kinderliteratur eine Marktlückte besetzt werden konnte. Wir haben es hier mit den Anfängen der sogenannten Werbekinderzeitungen zu tun.


Beispiele aus der Zeit zwischen Jahrhundertwende und erstem Weltkrieg:
Die Firma Ribot vertrieb Seifen und Putzmittel. Ihre Kinderheftchen waren jahrelang eine beliebte und gern gesammelte Zugabe für Kinder.
Oben rechts ein vorproduziertes Geschichtenheft, das nicht an eine Marke gebunden sondern als Zugabe beim Einkauf in einem beliebig einsetzbaren Geschäft bestimmt war.
Links, vierseitiges Märchenheft einer Kaffee- Rösterei.

Diese Beispiele aus der Zwischenkriegszeit zeigen Werbebeilagen der Fa. Imperial und Tietze (Malzkaffe), die jeweils einer Kaffeepackung beigelegt waren. Ein Heftchen war 8 Seiten stark, kleinformatig und beinhaltete ein illustriertes Märchen, wobei es zahlreiche Serien gab. Die Hefte vereinigten Merkmale von Sammelbild, Kinderzeitung und Kinderbuch. Rechts oben und links ein Werbeheft nicht für ein bestimmtes Produkt, sondern für ein bestimmtes Geschäft (hier eine Apotheke). Die Weiterentwicklung dieses Konzepts brachte die großen Kinderzeitungen der Zwischenkriegszeit hervor, die primär Werbemittel waren.

Siehe auch:
Der Verlag Hellmuth Mielke & Co, Hans Steinsberg, Wien; Die Werbekinderzeitungen: Papagei, Schmetterling, Kiebitz
Siehe auch:
Die Werbekinderzeitung Dideldum

In den 20er Jahren entstanden teilweise weit verbreitete Kinderzeitungen, die nicht nur gekauft werden konnten, sondern auch an Kaufhäuser und Einzelhandelsgeschäfte geliefert wurden, wo sie den Kindern der Kunden als Werbepräsent gegeben wurden. Zu diesem Zweck wurde entweder gleich der Name des betreffenden Geschäftes mit einer entsprechend Widmung aufgedruckt oder Platz für eine Firmenstampiglie ausgespart. Die grosse Zahl heute noch vorhandener Hefte mit Werbeaufdrucken belegt, wie beliebt diese Werbeschenke waren.
Die erfolgreichen Österreichischen Kinderzeitungen der frühen Nachkriegszeit knüpften zwar inhaltlich an ihre Vorgänger aus der Zwischenkriegszeit an, hatten aber mit Werbung nichts mehr zu tun. Lediglich in der "Wunderwelt" finden wir in den 70er Jahren umfangreiche Werbeeinschaltungen.

Siehe auch:
Die Werbekinderzeitungen der Margarineindustrie: Die Rama Post, Fips Lach-Zeitung für liebe kleine Kinder, Fips die heitere Post vom kleinen Coco, Rama im Blauband Woche, Blaubandwoche

Beispiele für Kinderzeitungen, die nicht für ein bestimmtes Geschäft (wie Papagei, Kiebitz, Schmetterling usw.) sondern für bestimmte Produkte warben: Die Rama-Post und Die Blaubandwoche für Margarine; Der Rotfrosch für Schuhcreme; Lurchi für Schuhe und Die Blendax-Kinder für Zahnpasta.

Nachtbesuch bei Peterchen

Eine kinderbuchartige Werbebroschüre der Firma Odol, wahrscheinlich um 1940. Den Kindern wird im Rahmen einer märchenhaften Erzählung der Gebrauch von Odol Zahnpasta und Mundwasser nahegelegt.
Zähneputzen ist immerhin gesund. Das folgende Beispiel ist weit bedenklicher

In unseren Tagen wird es für Raucher immer enger. In den Ländern der europäischen Union und auch anderswo ist es verboten in Flugzeugen, Bussen, Bahnhöfen, öffentlichen Gebäuden, Hotels und Lokalen zu rauchen und je nach prohibitionistischer Neigung der einzelnen Staaten sind gegen Verstöße teilweise so drastischen Strafen angedroht, dass man meinen könnte, es gelte eine besonders gefährliche Form der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität zu bekämpfen. Diese Hysterie macht auch vor der einzelnen Zigarettenpackung nicht halt. Während ich mir sorgenvoll eine Zigarette anzünde, entnehme ich mein drohendes Ende vor Augen der gesetzlich verordnendeten Negativwerbung auf der Packung, dass Rauchen tödlich sein kann und auf der anderen Seite die Aufforderung, (zumindest) die Kinder zu verschonen und sie nicht meinen Tabakrauch einatmen zu lassen.
Es versteht sich von selbst, dass jede positive Tabakwerbung verpönt ist. So eng hat man das aber nicht immer gesehen. Ein Beispiel dafür aus den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts sehen Sie unten. Für 30 Gutscheine (einen pro Zigarettenpackung) bekam man ein reich bebilderdes Märchenheft (aus einer Serie von 24), "ein beliebtes und jederzeit gern gesehenes Sammelobjekt für die deutsche Jugend".
Ich kann nicht umhin den Vorkämpfern für eine tabakfreie Welt die Szene auszumalen: Während der Vater im Wohzimmer genüsslich eine Zigarette nach der anderen raucht, fordern ihn die lieben Kleinen auf, doch nur Zigaretten eben dieser bestimmten Marke zu rauchen und zählen schon heimlich die leeren Zigarettenpackungen. Ist die magische Zahl 30 erreicht, eilen sie, um sich ein neues Märchenheft zu besorgen und können sich schon auf der ersten Seite selbst von dem "kaum zu überbietenden Wohlgeschmack" einer Zigarette überzeugen.

Neben den Kinderzeitungen und kinderbuchähnlichen Werbeheften, die als direkte oder indirekte Werbemittel dienten, aber als eigenständige Druckwerke existierten, gab es eine Reihe von sogenannten Kinderbeilagen zu Zeitschriften, die für Erwachsene bestimmt waren. Diese Beilagen wiesen alle Merkmale einer Kinderzeitung auf und erfüllten so über das Kind des Käufers einen indirekten Werbezweck für das Hauptprodukt, wenngleich das hier nicht so augenfällig war. zB.: "Die Arche Noah" ('Daheim'), "Hans Kunterbunt" ('Leipziger Neueste Nachrichten'), "Der kleine Genossenschafter" ('Genossenschaftsfamilie').

Ein Beispiel aus den 50er Jahren: Die in Wien etablierte Margarinefabrik Ebhart & Herout legte ihren Produkten recht schöne Karl May- Sammelbilder bei, die bei Kindern zu begehrten Sammelobjekten wurden. Es gab 100 Serien zu je 6 Bildern. Auf der Rückseite wurde in knappen Worten die Handlung erzählt.
Ebenfalls in den 50ern tauchten Plastikfiguren als Zugabe zu Kaffepackungen und Margarinepackungen auf, die von Kindern gern gesammelt wurden.


Das Konzept, Kinderzeitungen als Werbegeschenk einzusetzen wurde in größerem Rahmen nach dem Krieg bis zum heutigen Tag nur mehr von Bankinstituten fortgeführt.

Der Buchklub der Jugend, der sich als organisotorischer Träger des Kampes gegen Schmutz und Schund an den Schulen etabliert hatte, bewarb in den Schulen zeitweise auf recht aggressive Weise die von den kooperierenden Verlagen veröffentlichen 'guten Kinder- und Jugendbücher', die von den Eltern der Kinder im Interesse ihrer Sprösslinge gekauft werden sollten. Da dies aber mit politischer und behördlicher Billigung unter dem Titel Jugendschutz, Leseerziehung und pädagogische Notwendigkeit geschah, wurde diese Vorgehensweise nie unter dem Gesichtspunkt einer letztlich wettbewerbsverzerrenden Werbestrategie thematisiert. Aber es kann nicht übersehen werden, wie sehr hier ehrlich gemeinter Idealismus mit kommerziellen Interessen zusammenwirkte.

Etwa ab Mitte der 50er Jahre verfügten viele Kinder schon über eigenes Taschengeld und wurden damit - wenngleich noch in sehr bescheidenem Rahmen - selbst als potentielle Käufer gesehen und als Zielgruppe der Werbung interessant.

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