Das Buch zum Thema:
Der unglaubliche Struwwelpeter
Inhalt, Bezugsmöglichkeiten

Der Struwwelpeter
Teil 1

Der Struwwelpeter ist die Titelfigur des erfolgreichsten deutschsprachigen Bilderbuches.
1845 erstmals im Verlag Rütten & Loening erschienen, erlebte der Struwwelpeter in seinem Stammverlag über fünfhundert Auflagen und wurde in etwa 40 Sprachen und zahlreiche Dialekte übersetzt. Allein die deutschsprachigen Ausgaben sollen etwa 30 Millionen Mal verkauft worden sein. Eine genaue Angabe ist nicht möglich, weil die Schutzfrist für das Urheberrecht längst abgelaufen ist (1925?) und seither unzählige Nachdrucke auch anderer Verlage erschienen sind. Völlig aussichtslos ist es, die Auflagenhöhe der Übersetzungen zu schätzen. Beispielsweise erreichte die englischsprachige Version bereits Ende des 19. Jahrhunderts an die 50 Auflagen.
Obwohl es zahllose Nachdichtungen, Fortsetzungen, Modernisierungen, Neuinterpretationen und Parodien gibt, hat die ursprüngliche Endfassung des Buches (von1858) nichts von ihrer Anziehungskraft verloren und erscheint praktisch unverändert auch heute noch.

Die Abbildungen oben stammen aus einer russischen Version bereits aus dem Jahre 1849 (also vier Jahre nach dem Erscheinen des Buches) und zeigen die Episode von den Tintenbuben. Hoffmann, der Autor und Zeichner des Struwwelpeter, soll ein Exemplar davon besessen, an den Zeichnungen, die teilweise vom Original abweichen, großen Gefallen gefunden und sich von ihnen bei der Endfassung (1858) seines Struwwelpeters inspirieren haben lassen.

Schöpfer des Struwwelpeter war der renommierte Arzt Dr. Heinrich Hoffmann ( geboren am 13. Juni 1809 in Frankfurt am Main; gestorben am 20. September 1894 ebendort), der von 1851 bis zu seiner Pensionierung 1888 die städtischen Nervenheilanstalt in Frankfurt am Main leitete und als früher Vertreter der Jugendpsychiatrie gilt. Neben seinem Beruf als Arzt war er auch literarisch tätig und verfasste Gedichte und Theaterstücke.
Über die Entstehung des Struwwelpeter berichtet er selbst, dass er zu Weihnachten 1844, weil er in den Läden kein ihm geeignet erscheinendes Bilderbuch für seinen Sohn Conrad fand, in ein Schreibheft die Urfassung des Struwwelpeter reimte und zeichnete und auf den Weihnachtstisch legte. Über Betreiben von Bekannten und Verwandten, entschloss er sich schließlich das Büchlein dem Verleger Dr. Loening anzubieten, der es angeblich um 80 Gulden kaufte

Hatte es der Autor zunächst noch vorgezogen - immerhin war er ein angesehener Arzt und Wissenschaftler - sich hinter dem Pseudonym 'Reimerich Kinderlieb', in einer späteren Ausgabe 'Heinrich Kinderlieb' zu verbergen, bekannte er sich ab der fünften Ausgabe (1847) mit seinem Namen zu seinem Werk, das begann ein Verkaufsschlager zu werden. Die heute noch verwendeten Zeichnungen stammen aus dem Jahre 1858 und wurden von Hoffmann für die damals im Buchdruck in Gebrauch kommende Holzschnitttechnik adaptiert.

Allein schon sein unbestreitbarer Erfolg sichert dem Struwwelpeter in der Geschichte der deutschen Kinderliteratur einen herausragenden Platz, ohne dass sich dieser allerdings genau bestimmen lässt, auch wenn meist davon ausgegangen wird, dass es sich um den Endpunkt einer Entwicklung und den Prototyp des modernen deutschen Bilderbuches handelt. Tatsächlich ist der Struwwelpeter ein singuläres Ereignis in der Kinderliteratur an das weder seine Epigonen noch sein Schöpfer selbst mit späteren Werken anschließen konnten.
Der Struwwelpeter begründete mit seinen zahlreichen Nachfolgern eine weit über das Kinderbuch hinausreichende, literarische Tradition, deren Werke unter dem Schlagwort Struwwelpetriaden oder Struwwelpeteriaden zusammengefasst werden.

Die Illustrationen des Struwwelpeter, die uns so vertraut sind, waren zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buches eine Novität, Manchen ein Ärgernis, letztlich aber ein entscheidendes Element in der Wirkung des Buches auf Kinder. Obwohl Hoffmann viel Mühe auf seine Zeichnungen aufwandte, erlag er nie der Versuchung, sie dem noch aus dem Biedermeier herkommenden Geschmack beim Buchschmuck anzupassen. Bilderbücher waren damals meist sorgfältig illustriert, detailreich, oft künstlerisch ausgestaltet und sollten in den damals sehr verbreiteten Anschauungsbüchern in belehrender Weise die Wirklichkeit abbilden. Hoffmanns Zeichnungen hingegen sind einfach, manche wirken, als ob es sich um Kinderzeichnungen handelt, und sie sprechen mit ihren klaren Aussagen direkt die Phantasie des Kindes an.
Das gleiche gilt für den Text. Auch die Handlung ist ganz einfach, kann selbst von kleineren Kindern mühelos nachvollzogen werden und wird von kurzen suggestiven Versen getragen, die sich dem Gedächtnis einprägen und von denen Manches auch noch heute zum deutschen Zitatenschatz gehört.
Alle Geschichten im Struwwelpeter zeigen eine deutlich erkennbare Moral und sollen belehrend wirkend. Meist handelt es sich um Kinder, die Unarten haben, nicht folgen, auf die Ermahnungen ihrer Eltern nicht hören und dafür oft schlimme Konsequenzen tragen müssen. Damit steht der Struwwelpeter am Anfang der sogenannten Strafgeschichten in der Kinderliteratur, wird der schwarzen Pädagogik zugerechnet und damit, besonders in jüngerer Zeit, einer herben Kritik unterzogen. Diese Kritik hat allerdings in Bezug auf manche Nachfolgebücher des Struwwelpeter, die tatsächlich geradezu sadistische Strafen für oft belanglose Vergehen ausmalen, mehr Berechtigung, als für den Struwwelpeter selbst.
Das Besondere am Struwwelpeter ist nämlich, dass er seine Ermahnungen nicht aus der Ferne des Erwachsenseins, mit der Autorität des Erziehenden transportiert, sondern Kinder in die Lage versetzt werden, sich in die Handlung hineinzudenken und gebannt von den Versen, die ihr mystisches Weltbild ansprechen, die Situation nachzuvollziehen. In keinem einzigen Fall treten die Erziehenden selbst als Strafinstanz auf. Man kann schon glauben, was Hoffmann berichtet, dass er nämlich die Ideen für diese Geschichten als Arzt im Umgang mit seinen kleinen Patienten gewonnen hat.
Der Struwwelpeter steht daher in einer aufklärerischen Erziehungstradition, wonach das Kind eine Strafe nicht als Willkürakt der Erziehenden begreifen soll, sondern als unmittelbare Folge seiner eigenen Handlungen. Das 'Böse' birgt seine Strafe schon in sich.
Ich meine, dass der Struwwelpeter nicht nur ein Geniestreich auf dem Gebiet der Kinderliteratur ist, sondern - ich weiß, dass viele dieser Ansicht nicht beipflichten werden - auch eines der wenigen althergebrachten Kinderbücher ist, denen zumindest in Teilen noch heute pädagogischer Wert zuzumessen ist.



Der Struwwelpeter bei WIKISOURCE: Hier können Sie den vollständigen Text mit allen Bildern ansehen.

Das Buch Der Struwwelpeter beinhaltet zehn Geschichten, wobei jene vom Struwwelpeter selbst eigentlich gar keine Geschichte ist, sondern nur eine Beschreibung der Titelfigur

Sieh einmal, hier steht er -
Pfui! Der S t r u w w e l p e t e r !
An den Händen beiden
Ließ er sich nicht scheiden
Seine Nägel fast ein Jahr.
Kämmen ließ er nicht sein Haar.
"Pfui!" ruft da ein jeder:
"Garstger S t r u w w e l p e t e r !"

Links: Die ursprüngliche Fassung des Struwwelpeter, so wie sie Hoffmann 1844 zeichnete.
Zunächst nur als Seitenfüller für den Schluss des Buches gedacht, wurde der Struwwelpeter rasch populär, rückte auf das Titelblatt und gab dem Buch seinen Namen.

Die Geschichte vom bösen Friederich

Der Friederich, der Friederich,
Das war ein arger Wüterich!
Er fing die Fliegen in dem Haus
Und riss ihnen die Flügel aus.
Er schlug die Stühl und Vögel tot,
Die Katzen litten große Not.
Und höre nur, wie bös er war:
Er peitschte seine Gretchen gar!

Der "bitterböse Friederich" ist ein Ausbund an aggressiver Gewalttätigkeit, bis er schließlich an den Falschen gerät. Ein großer Hund, den er auspeitscht, beißt ihn in das Bein, "Recht tief bis in das Blut hinein" und nimmt ihm die Peitsche fort.
Friedrich muss das Bett hüten und "Litt vielen Schmerz an seinem Bein", während "Der Hund an Friedrichs Tischchen saß, Wo er den großen Kuchen aß."

Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug

Und Minz und Maunz, die Katzen,
Erheben ihre Tatzen.
Sie drohen mit den Pfoten;
"Die Mutter hat´s verboten!
Miau! Mio! Miau! Mio!
Wirf´s weg! Sonst brennst du lichterloh!"

Doch weh! Die Flamme fraß das Kleid,
Die Schürze brennt; es leuchtet weit.
Es brennt die Hand, es brennt das Haar,
Es brennt das ganze Kind sogar.

Diese Geschichte tauchte erstmals in der zweiten Auflage auf: "Paulinchen war allein zu Haus" und beschloss trotz der Warnungen der Katzen mit dem Feuerzeug des Vaters zu spielen.
Das Ergebnis war fatal: "Verbrannt ist alles ganz und gar. / Das arme Kind mit Haut und Haar. / Ein Häufchen Asche blieb allein / Und beide Schuh, so hübsch und fein. / Und Minz und Maunz, die Kleinen, / Die sitzen da und weinen: / "Miau! Mio! Miau! Mio! " / Wo sind die armen Eltern? Wo?" / Und ihre Tränen fließen / Wie´s Bächlein auf den Wiesen."

Im Nachhinein ist viel, auch Tiefenpsychologisches in die Geschichte vom Paulinchen, das mit dem Feuer spielte, hineininterpretiert worden. Aus Sicht seines Verfassers war es wohl nur die Warnung vor einer realen Gefahr, in einer Zeit, in der offenes Feuer noch viel häufiger im Haushalt zu finden war, als heute.
Trotzdem ist die Geschichte brandaktuell: Seit 11. März 2007 gilt die Regelung, dass innerhalb der EU ausschließlich kindersichere Feuerzeuge erstmalig in Verkehr gebracht werden dürfen.

Die Geschichte von den Tintenbuben

Es ging spazieren vor dem Tor
Ein kohlpechrabenschwarzer Mohr.
Die Sonne schien ihm aufs Gehirn,
Da nahm er einen Sonnenschirm.

Da kam der große Nikolas
Mit seinem großen Tintenfass.
Der sprach: "Ihr Kinder, hört mir zu
Und lasst den Mohren hübsch in Ruh!
Was kann denn dieser Mohr dafür,
Dass er so weiß nicht ist, wie ihr?" -

Weil die Buben den Mohren wegen seiner Hautfarbe verspotteten und auf die Ermahnungen des Nikolas nicht hörten, tunkte dieser sie in sein großes Tintenfass. Danach waren sie "viel schwärzer als das Mohrenkind".
Dass diese Geschichte an Aktualität nichts verloren hat - ganz im Gegenteil - liegt auf der Hand.

Die Geschichte vom wilden Jäger

Es zog der wilde Jägersmann
Sein grasgrün neues Röcklein an;
Nahm Ranzen, Pulverhorn und Flint'
Und lief hinaus ins Feld geschwind.
Er trug die Brille auf der Nas',
Und wollte schießen tot den Has'.

Das Häschen sitzt im Blätterhaus
Und lacht den wilden Jäger aus.

Eine komische kleine Geschichte, die von der Fabulierlust des Autors zeugt: Als der wilde Jäger im grünen Gras einschläft, stiehlt ihm der Hase Gewehr und Brille und der Jäger springt in einen Brunnen, denn "Es schießt der Has' die Flinte los". Die Kugel zerschlägt die Kaffeetasse der Jägersfrau und der Kaffee fließt dem Hasenkind auf die Nase: "Er schrie: "wer hat mich da verbrannt?" / Und hielt den Löffel in der Hand."

Die Geschichte vom Daumenlutscher

"Konrad!" sprach die Frau Mama,
"Ich geh' aus, und du bleibst da.
Sei hübsch ordentlich und fromm,
Bis nach Haus ich wieder komm'.
Und vor allem, Konrad, hör!
Lutsche nicht am Daumen mehr;
Denn der Schneider mit der Scher'
Kommt sonst ganz geschwind daher,
Und die Daumen schneidet er
Ab, als ob Papier es wär'. "

Natürlich folgt Konrad nicht: "Fort geht nun die Mutter, und / Wupp! den Daumen in den Mund." Die Strafe folgt auf den Fuß: "Bautz! Da geht die Türe auf, / Und herein in schnellem Lauf / Springt der Schneider in die Stub' / Zu dem Daumen-Lutscher-Bub. / Weh! Jetzt geht es klipp und klapp / Mit der Scher' die Daumen ab, / Mit der großen scharfen Scher'! / Hei! Da schreit der Konrad sehr."



Die Geschichte vom Daumenlutscher ist in ihrer Art ein unter pädagogischen Aspekten sicherlich anfechtbares psychologisches Meisterstück. Zunächst wird eine für das Kind angstbesetzte Situation geschaffen. Es wird von seiner Mutter allein zurückgelassen. Kaum setzt der Knabe einen Verstoß gegen ein mütterliche Gebot, bricht die Realität um ihn zusammen und er ist schutzlos seinem schlechten Gewissen und seiner Angst, die die Gestalt eines dämonischen Schneiders angenommen hat, ausgeliefert. Am Ende wird der Eindruck dieser Situation noch verstärkt, indem die Angst des Kindes vor körperlicher Verletzung angesprochen wird.
Das Irreale, Märchenhafte des Geschehens wird vom Autor in der angedeuteten Szenenarchitektur durch ein Maskaron, welches die Vorgänge beobachtet, illustriert. Schaut es zunächst missbilligend auf den Daumenlutscher, blickt es am Ende mit Befriedigung auf das bestrafte Kind.

Die Geschichte vom Suppen-Kaspar

Der Kaspar, der war kerngesund,
Ein dicker Bub und kugelrund.
Er hatte Backen rot und frisch;
Die Suppe aß er hübsch bei Tisch.
Doch einmal fing er an zu schrein:
"Ich esse keine Suppe! nein!
Ich esse meine Suppe nicht!
Nein, meine Suppe eß ich nicht!"

In rhythmischen Versen beschreibt Hoffmann den raschen körperlichen Verfall des Suppenverweigerers, bis hin zum bitteren Ende: "Am vierten Tage endlich gar / der Kaspar wie ein Fädchen war. / Er wog vielleicht ein halbes Lot - / und war am fünften Tage tot."
Gelegentlich wird die Vermutung geäußert, Hoffmann habe als Arzt hier einen Fall von Anorexie geschildert.
Abgesehen davon ist es auch heute - damals war das wohl nicht anders - bisweilen sehr, sehr schwer, Kinder davon zu überzeugen, dass Suppen nahrhaft, gesund und wohlschmeckend sind: Ich weiß das aus eigener Erfahrung.

Die Geschichte vom Zappel-Philipp

"Ob der Philipp heute still
Wohl bei Tische sitzen will?"
Also sprach in ernstem Ton
Der Papa zu seinem Sohn,
Und die Mutter blickte stumm
Auf dem ganzen Tisch herum.
Doch der Philipp hörte nicht,
Was zu ihm der Vater spricht.
Er gaukelt
Und schaukelt,
Er trappelt
Und zappelt
Auf dem Stuhle hin und her.
"Philipp, das mißfällt mir sehr!"


Der Zappelphilipp erschien erstmals in der zweiten Auflage. Das Ende ist vorhersehbar: Philipp kippt mit seinem Stuhl um und reißt das Tischtuch mit allen Speisen, die am Tisch stehen, mit sich.
Die erst in jüngerer Zeit erforschte Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern wird umgangssprachlich auch als Zappelphilipp-Syndrom bezeichnet. Ob allerdings Hoffmann selbst ein kindliches Verhalten beschreiben wollte, das bereits Krankheitswert erreicht hat, muss dahingestellt bleiben.

Die Geschichte vom Hans Guck-in-die-Luft

Wenn der Hans zur Schule ging,
Stets sein Blick am Himmel hing.
Nach den Dächern, Wolken, Schwalben
Schaut er aufwärts, allenthalben:
Vor die eignen Füße dicht,
Ja, da sah der Bursche nicht,
Also daß ein jeder ruft:
„Seht den Hanns Guck-in-die-Luft!“

In dieser Erzählung, die erstmal in der fünften Auflage vorkam, wird den Kindern eine Ermahnung mitgegeben, die auch heute noch aktuell ist: Sie sollen auf den Weg schauen, sonst fallen sie hin, oder es passiert noch Schlimmeres, wie dem Hans, der ins Wasser fällt, zum Glück aber gerettet wird.


Die Geschichte vom fliegenden Robert

Wenn der Regen niederbraust,
Wenn der Sturm das Feld durchsaust,
Bleiben Mädchen oder Buben
Hübsch daheim in ihren Stuben. —
Robert aber dachte: Nein!
Das muß draußen herrlich sein! —
Und im Felde patschet er
Mit dem Regenschirm umher.


Gleichfalls in der fünften Auflage findet sich zum erstenmal die durchaus vernünftige Ermahnung, bei einem Unwetter zu hause bleiben. Die Gefahr, die sonst droht, wird in märchenhafter Weise dargestellt: "Schirm und Robert fliegen dort / Durch die Wolken immerfort. / Und der Hut fliegt weit voran, / Stößt zuletzt am Himmel an. / Wo der Wind sie hingetragen, / Ja! das weiß kein Mensch zu sagen."


Schließlich wurden die von dem kaiserlich-russischen Kapellmeister a.D. Andreas Hußla vertonten Struwwelpeter-Texte 1876 unter dem Titel Melodien zu Dr. Heinrich Hoffmann's Struwwelpeter von Rütten und Loening herausgebracht und erreichte mehrere Auflagen.



Ermutigt durch den Erfolg des Struwwelpeter veröffentlichte Hoffmann weiterer Kinderbücher, die auch heute noch als Reprints erhältlich sind.

Heil Dir, Du Knusperhanns!
Hölzern in Pracht und Glanz!
Heil, Knacker, Dir!
Beißen, wie Du, wer kann's?
Nüsse des Vaterland's
Läßt Du gewiss nicht ganz.
Heil Knacker, Dir!

(Heil dir im Siegerkranz,
Herrscher des Vaterlands!
Heil, Kaiser, dir!
Fühl in des Thrones Glanz
Die hohe Wonne ganz,
Liebling des Volks zu sein!
Heil Kaiser, dir!)

König Nussknacker und der arme Reinhold erschien 1851 und erreichte bei Rütten & Loening ca. 40 Auflagen. Die Abbildung oben zeigt die 35. Ausgabe, wahrscheinlich um 1900.
Die darin enthaltene Parodie auf das Kaiser-Huldigungslied (rechts) war aus damaliger Sicht schon ein starkes Stück und führte zu einem vorübergehenden Verbot des Buches.

Verarmt, verkommen und verdorben
ist endlich dort er still gestorben.

Die ersten beiden Auflagen von Bastian der Faulpelz erschienen ab 1854 bei der Jäger'schen Buch-, Papier- und Landkartenhandlung in Frankfurt und ab der dritten Auflage bei Rütten & Loening.
Das Buch war von Anfang an kein besonderer Erfolg. Der stark moralisierende, trotz aller originellen Einfälle stellenweise recht langatmige Inhalt, dem die Unmittelbarkeit des Struwwelpeter gänzlich abgeht, und das deprimierende Ende kamen beim jungen Publikum nicht gut an. Da half es auch nichts, dass auf den Verfasser des Struwwelpeter als Autor hingewiesen wurde.

Ihr meint vielleicht, die Engel oben,
die hätten weiter nichts zu tun
als nur zu singen und Gott zu loben
und dann gemächlich auszuruhen.


Im Himmel und auf der Erde erschien 1858 bei Rütten & Loening. Es handelt sich um eine Sammlung ganz unterschiedlicher Geschichten für Kinder verschiedenen Alters.

Seinen lieben Enkeln
Heiner und Carl

widmet dieses Buch
der Großvater

Die Tage fliehen. Es war vor vielen Jahren,
Als eure Eltern selbst noch Kinder waren,
Da schrieb ich diesen manch ein buntes Buch.
Ich wurde alt und all der Herrlichkeiten
Gedachte ich als längst vergangner Zeiten,
Die weit hinab der Strom des Lebens trug.

Prinz Grünewald und Perlenfein mit ihrem lieben Eselein erschien um 1875 und ist das letzte Kinderbuch, das Hoffmann veröffentlichte. Er widmete es seinen Enkeln Heiner und Carl.
Es handelt sich um ein Märchen von Hochmut, Strafe und Erlösung. Trotz manch origineller Einfälle und Verse wirkt die Geschichte konstruiert, moralisierend und bisweilen - wie in der Episode von den Sangkülottern - recht drastisch: "Und in dem Hof am hellem Tag / Der König todt gestochen lag, / Die Königin, die lag daneben / Ganz mausedodt und ohne Leben. / Ein breites Schwert stack ohn' Erbarmen / Tief in der Brust der beiden armen. / Und Knotter auch erhielt den Lohn, Er ward gespiest nicht weit davon." Das Buch ist heute wohl nur mehr deswegen einem breiteren Publikum bekannt, weil es vom Verfasser des Struwwelpeter stammt.

Besuch bei Frau Sonne erschien 1924 posthum bei Rütten & Loening. Die Enkel des Dichters hatten nachgelassene Verse und Skizzen ihres Großvaters aufbereitet und zu einem recht ansprechenden Büchlein zusammengestellt.

Hoffmann selbst erlag nicht der Versuchung, eine Fortsetzung zu seinem Struwwelpeter zu schreiben. Wahrscheinlich, weil er erkannte, dass ein Geniestreich nicht so ohne weiteres wiederholbar ist. Andere waren da weniger einsichtig. Vor allem die Figur des Struwwelpeter wollte man so nicht dastehen lassen. Dieser langhaarige, ungepflegte Bursche, der so populär geworden war, musste doch auf den rechten Weg gebracht werden, damit er ein gutes Beispiel für die Kinder geben konnte.
Der Struwwelpeter, dem sein Schöpfer zwar ein "Pfui!" anhängt, ihn sonst aber unbehelligt lässt und keiner Besserung oder auch nur Bestrafung zuführt, war nämlich nicht unverdächtig. Hatte er doch im Revolutionsjahr von 1848 unter dem Namen Peter Struwwel, Demagog (Bild oben: Verfasser war natürlich Hoffmann) ein Handbüchlein für Wühler, oder kurzgefaßte Anleitung in wenigen Tagen ein Volksmann zu werden veröffentlicht und sich damit sogar auf politisches Pflaster begeben.

Bereits 1851 erschien daher bei Thienemann in Stuttgart Struwwelpeter's Reu und Bekehrung. Verfasser war wohl Carl Ludwig Thienemann selbst. Das Büchlein knüpft direkt an die Hoffmannsche Figur an, deren Kenntnis beim Leser vorausgesetzt wird. Der struwwelige Peter schämte sich, weil er von den Kindern verspottet wurde und bat seine Mutter um Hilfe. Das Säuberungswerk gestaltete sich sehr schwierig, aber der Erfolg konnte sich sehen lassen (Abbildungen oben).
Nachdem der Struwwelpeter solcherart ein fescher kleiner Kavalier geworden war, konnte man ihn auch auf Reisen schicken.

Struwwelpeter auf Reisen erschien bereits 1852 (?) im Verlag Friedrich Bartholomäus in Stuttgart. Der Text stammt von Th. Drobisch, die Zeichnungen von A. Karst. Das Buch beginnt mit den Worten: "Der Struwwelpeter ist bekehrt, / Er wird von Allen nun verehrt, / Und will den Kindern groß und klein, / jetzt überall zum Muster sein."
Struwwelpeter unternimmt eine Reise durch das (seit den napoleonischen Kriegen und vor der Reichsgründung von 1871) in viele kleine Teilstaaten zersplitterte Deutschland und kommt dabei auch nach Wien (oben links.) Mit dem Original-Struwwelpeter hat diese Geschichte, die eher an ein Heimatkundebuch erinnert, nichts zu tun. Auf der Rückreise besucht Struwwelpeter die Struwwelsuse, die sich gleichfalls sehr gebessert hat und sich "So reinlich, so manierlich, / Bescheiden, artig und zierlich " zeigt. So hatte sie sich ursprünglich aber nicht präsentiert.
Die Struwwelsuse war nämlich der erste Versuch gewesen, ein weibliches Gegenstück zum Struwwelpeter zu schaffen. Das Buch, für das der reisende Struwwelpeter jetzt indirekt Reklame machte, erschien gleichfalls im Verlag Friedrich Bartholomäus (oben rechts), etwa zur gleichen Zeit, wie Struwwelpeter auf Reisen, vielleicht schon etwas früher (1849?). Es handelt sich um eine Nachahmung des Buches von Hoffmann. Darin finden sich Geschichten wie 'Das Guck Hänschen' oder 'Fritzchen und Lieschen fassen alles an'. Als Titelfigur dient anstatt des Struwwelpeter die Struwwelsuse, die ähnlich unordentlich ist, wie ihr männliches Vorbild.
Damit war der bis in die Gegenwart reichende Reigen der Struwwelmädchen eröffnet:

"Das Schreiliesel" (Abbildung links), erschien erstmals 1864 und ist vermutlich der zweite Versuch, ein weibliches Pendant zum "Struwwelpeter" zu schaffen. Die Illustrationen stammen von Fritz Steub, einem ständigen Mitarbeiter bei den "Fliegenden Blättern" und den "Münchener Bilderbogen". Es sind Geschichten enthalten wie: 'Wie das Schreiliesel sich nicht waschen lassen will', 'Wie das Schreiliesel seine Milch nicht trinken will', 'Wie die Kinder mit Schreiliesel nicht spielen wollen', usw.

Die Struwwel-Liese, oder Lustige Geschichten und drollige Bilder für Kinder (Bilder oben Mitte und unten), von Dr. Julius Lüthje mit Zeichnungen von Franz Maddalena erschien erstmals um 1890. Es ist mit seinen Dutzenden Auflagen eines der bekanntesten und erfolgreichsten Struwwelmädchen-Bücher. Anders als bei Hoffmann werden kindliche Verfehlungen hier auch von den Erziehenden geahndet. Mit anderen Worten: Das Kind wird gelegentlich verhauen.

Das naschhafte Lieschen hat sich den Magen verdorben, weshalb es vierzehn Tage krank ist. Nach erfolgter Genesung bekommt es von der Mutter die Rute: Sozusagen als ergänzende, vorbeugende Therapie (Bild links).
Das Lieschen hat vergessen vor dem Einschlafen zu beten, weshalb ihr der Schutzengel nicht beistehen kann. Sogleich wird sie von einer Schar Kobolde drangsaliert und anschließend vom Knecht Rupprecht mit der Rute bedroht (Bild rechts).



Die Struwwelhanne stammt von dem bekannten Kinderbuchillustrator Fritz Baumgarten (1883-1966) und ist wahrscheinlich vor dem ersten Weltenkrieg erstmals erschienen. Fritz Baumgarten hat noch ein weiteres Struwwelmädchen, nämlich die Struwwel-Lene geschaffen.

In den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts tauchte auch die Struwwelliese wieder auf. Dieses entzückende, im © Verlag Pestalozzi erschienene Büchlein wurde von Cilly Schmitt-Teichmann getextet und von Charly Greifoner illustriert. Es erlebte zahlreiche Auflagen und erfreut sich auch heute noch großer Beliebtheit. Mit der Struwwelliese von 1890 hat es allerdings nur mehr den Namen und das Grundthema gemeinsam.

Um 1960 erschienen im Verlag © Schwager & Steinlein Struwwelchen und Struwwelpetra und wahrscheinlich schon in den 50ern bei © Jos. Scholz-Mainz Schlampinchen, drei etwas modernere aber recht konventionell gemachte Struwwelmädchen

Ebenso wie ihr männliches Vorbild überschritten auch die Struwwelmädchen die Grenzen des Kinderbuches. Ein schönes Beispiel dafür ist die Struwwelpaula, erschienen 1994 bei © Rütten & Loening, dem ursprünglichen Struwwelpeterverlag. Aus dem Klappentext: "Sechs Grafikerinnen folgen Hoffmanns Zeigefinger in satirischer Übertreibung..." Eine kleine Kostprobe ist die Abbildung rechts, die aus einem Cartoon von Maria Marcks stammt. Das Mädchen, dem die Geschichte von Paulinchen und dem Feuerzeug vorgelesen worden war, bricht in Tränen aus, weil ihm vor allem die beiden am Ende weinenden Katzen leid tun. Auf so unerwartete Weise nehmen Kinder bisweilen Geschichten auf, die man ihnen erzählt. Hoffmann hätte an dieser Beobachtung sicher seine Freude gehabt.
Kehren wir aber wieder in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück, als zahlreiche Autoren und Verlage begannen, sich des Struwwelpeters zu bemächtigen.

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Der Struwwelpeter
Teil 2

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