In der Mitte der 50er Jahre brach die österreichische Produktion abenteuerlicher Heftromane unter dem Druck der hauptsächlich von Mitarbeitern des Buchklubs der Jugend erwirkten Verbreitungsbeschränkungen nach und nach zusammen und kam von Randerscheinungen abgesehen Anfang der 60er Jahre praktisch völlig zum Erliegen. Sieg war es für die Jugendschützer trotzdem keiner. Sie glaubten, dem Drachen den Kopf abgeschlagen zu haben, stattdessen wuchsen ihm ein paar neue Köpfe.
Zunächst waren sie die Schundhefte nicht wirklich los. Die waren in den Untergrund gegangen und wurden in Romangeschäften (siehe unten) rege gehandelt und getauscht. Seriöse Zahlen kann man nicht nennen. Aber noch in den späten 60er Jahren konnte man in einem Romangeschäft, von denen es in Wien viele gab, aus serienweise geordneten Stößen beliebig auswählen. Außerdem gibt es Hinweise, dass Restbestände von Auflagen, die wegen einer Verbreitungsbeschränkung nicht verkauft hatten werden können, nun doch über sogenannte 'Romanschwemmen' auf den Markt kamen. Die Zahl der so im Umlauf befindliche Hefte muss jedenfalls beträchtlich gewesen sein. Freilich die Neuproduktion solcher Hefte war in Österreich weitgehend unterbunden worden. Das war erfreulich. Vor allem für deutsche Heftverlage
In Deutschland hatte es gleichfalls eine Schmutz- und Schunddiskussion gegeben, die aber anders als in Österreich nicht zur Vernichtung eines ganzen Produktionszweiges geführt hatte. Deutsche Romanheftverlage begannen bereits in der ersten Hälfte der 50er Jahre verstärkt nach Österreich zu drängen, wo die vormals potente einheimische Konkurenz praktischerweise von den Jugendschützern abgewürgt wurde. Natürlich machten die Jugendschützer auch gegen die Importe Front. Aber für einen deutschen Verlag war es kein existentielles Problem, wenn auf dem relativ kleinen österreichischen Teilmarkt eine Bezirksverwaltungsbörde in ihrem Wirkungskreis ein Produkt verbot. Im allgemeinen zeigten sich die großen deutschen Verlage trotz einiger Lippenbekenntnisse von den Aktionen der österreichischen Jugendschützer wenig beeindruckt und lieferten massenweise Schundhefte nach Österreich. Darunter waren so Scheußlichkeiten wie 'Der Landser', wo man lesen konnte, wie im zweiten Weltkrieg der heldenhafte deutsche Landser, die Maschinenpistole in der nervigen Faust den 'Iwan' niedermähte. Erstaunlicherweise wurde gerade diese Serie weit weniger kritisiert als einfache Wildwestromane.
Ein weiteres Problem waren die Comics, die beginnend in der ersten Hälfte der 50er Jahre aus Deutschland nach Österreich kamen. Eine nennenswerte österreichische Comicproduktion hatte es nie gegeben. Die deutschen Comics fanden weite Verbreitung und waren bei Kindern und Jugendlichen sehr beliebt und vervielfachten ihren Umlauf über die Romantauschgeschäfte. Die Jugendschützer waren entsetzt, sahen sich aber mit weiteren Katastrophen konfrontiert.
Gleichfalls aus Deutschland kamen Jugendmagazine wie 'Bravo', deren Inhalt als ausgesprochen jugendgefährdend angesehen wurde. Dazu kamen Illustrierte, die auch gern von Mädchen gelesen wurden, und eine Ausgeburt des zu bekämpfenden Ungeistes waren. Schließlich darf nicht übersehen werden, dass die Jugendschützer auch auf dem Gebiet des Filmes einen erbitterten Kampf um ihre Werte führten. So mancher Film, der damals mit dem Prädikat 'jugendverbot' belegt wurde, ist heute im Vorabendprogramm des Fernsehens als Familienfilm zu sehen.
In dieser Situation griffen die Jugendschützer des Buchklubs der Jugend 1955/56 zu bewährten Methoden. Es sollte Druck auf die Politik ausgeübt werden, die Zensur zu verschärfen: Der Import von Druckwerken, die als jugendgefährdend eingestuft wurden, sollte verboten werden. Das Schutzalter für Jugendliche sollte auf 18 Jahre angehoben werden. Der Verkauf von Comics an Personen unter 16 Jahren sollte verboten und unter Strafe gestellt werden. Unterstützt wurde diese Gesetzesinitiatve durch eine Unterschriftenaktion, die angeblich 1.000.000 Unterschriften brachte.
Es setzte sich allerdings bei besonneneren Politikern die Meinung durch, dass so weitreichende zensorische Maßnahmen mit der Verfassung nicht mehr in Einklang zu bringen waren. Auch kam in weiten Bevölkerungskreisen ein gewisses, noch nicht sehr deutlich artikuliertes Unbehagen über diese Art der Bevormundung auf und die ständigen Hetzreden nervten schön langsam. Schließlich wurde in Österreich im Jahre 1955 wieder die allgemeine Wehrpflicht eingeführt und es war schwer einzusehen, dass ein junger Mann von 17 durch das Lesen eines Wildwestromes seelischen Schaden nehmen könnte, die Ausbildung am Maschinengewehr wenige Monate später, um möglichst effizient andere Menschen zu töten, aber ehrenvolle und charakterbildende Staatsbürgerpflicht war. So provokant wurde das damals nicht formuliert, aber die Leute spürten schon, dass vernünftige Relationen verlorengegangen waren.
Nach einer kurzen Ruhepause kam es Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre zu einem neuen, sehr massiven und letzten Aufflammen der Anzeigentätigkeit gegen bundesdeutsche Produktionen. Danach ebte der Spuk deutlich ab. Nicht etwa, wie manchmal behauptet wird, weil die Aktion ein durchschlagender Erfolg war, sondern weil die Jugendschützer gegen die vielfältigen Erzeugnisse der Unterhaltungsindustrie dauerhaft nichts mehr ausrichten konnten. Das Konsumverhalten begann sich langsam in Richtung Freizeit und Unterhaltungsgesellschaft zu entwickeln und auch die öffentliche Meinung wurde zunehmend liberaler. Viele Leute konnten einfach nicht mehr einsehen, dass Abenteuerbücher, Filme und Illustrierte, die sie selber lasen oder Micky Maus oder Tarzan-Heftchen, ihren Kindern den beschworenen furchtbaren Schaden zufügen sollten. Die Menschen begannen sich auch in diesen Fragen schön langsam selber ein Urteil zu bilden.
Ab Anfang der 70er Jahre tauchten immer mehr pornografische Druckwerke in großer Stückzahl und hoher Druckqualität auf. Bald kamen einschlägige Schmalfilme fürs Heimkino und noch später Videokasseten dazu. In einem dreißigjährigen Abwehrkampf mussten die Jugendschützer und 'Pornojäger' Schritt für Schritt vor der zunehmende Liberalisierung- bis zum heutigen Status- zurückweichen.
Pornografie läßt sich allerdings in keine Relation zur Jugendliteratur bringen, so wie etwa der abenteuerliche Heftroman. Denn die Erfahrung hat gezeigt, dass Jugendliche im Allgemeinen nicht zu den Pornokonsumenten gehören. Das bleibt der Generation der Erziehenden vorbehalten.
Der Kampf der Jugendschützer gegen Schmutz und Schund war mehr als nur der Kampf um das gute Jugendbuch. Er war ein gesellschaftspolitisches Phänomen ersten Ranges. Letztlich scheiterte der Anspruch, das Volk im Sinne einer bestimmten Werteskale auch gegen seinen Willen zu erziehen. Denn so etwas ist in einer Demokratie nur schwer zu verwirklichen, die Kräfte der Marktwirtschaft, welche die Bedürfnisse einer zunehmend nach Unterhaltung suchenden Bevölkerung befriedigte, waren übermächtig und letztlich haben sich in einem halben Jahrhundert die Wertvorstellungen geändert und viele Tabus sind gefallen.
Aktuelle Studien scheinen (schon wieder einmal) zu belegen, dass die schulischen Leistungen der Kinder immer schlechter werden und sie die Kunst des Lesens und Schreibens nur mangelhaft beherrschen. Das kommt daher, meinen Kritiker (schon wieder einmal), weil sie nur nach billiger Unterhaltung streben, der guten Literatur abgeneigt sind und stattdessen nächtelang vor den Computerbildschirm sitzen.
Zum Pessimismus besteht indes kein Anlass. Unterhält man sich heute mit Jugendlichen, findet man meist selbstbewusste, weltoffene und aufgeschlossene junge Menschen, die über viele Dinge, die den Alten sehr fremd sind, ein erstaunliches Wissen besitzen und zu konkreten gesellschaftspolitischen Fragen eigenständige Ansichten äußern, ohne dass sie allzusehr auf eingelernte Phrasen zurückgreifen müssten. Ich finde, die Dinge haben sich gar nicht schlecht entwickelt.
Dennoch: Aus China erreichen uns inzwischen besorgniserregende Berichte, wonach sich nach Auffassung der Behörden in den Großstädten die Computerbesessenheit Jugendlicher zu eine Sucht mit echtem Krankheitswert entwickelt habe. Zahlreiche Jugendliche gleiten in die virtuelle Scheinwelt ab und verlieren den Bezug zur Realität, auf die sie mit Aggressionen reagieren. Es wurde von chinesischen Jusizstellen bereits die Ansicht geäußert, dass 90%(!) der Jugendkriminalität ihre Ursachen in Computerspielen und im Internet habe. Die bedauernswerten 'Kranken' werden in militärisch geführten Spezialkliniken durch eine medikamentenunterstützte Psychotherapie geheilt und so wieder zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft gemacht. Es scheint, als ob die alte Diskussion um die Schädlichkeit trivialer Scheinwelten, so wie sie früher die verpönte Romanlektüre auslöste, auf anderer Basis erneuert wird. Denn schon in der sogenannten 'Lesewut' - Debatte vor 200 Jahren wurde mit nahzu den gleichen Worten vor den Auswirkungen einer ausufernden, die Phantasie allzusehr anregenden Lektüre, die zu Emotionalisierung und Realitätsverlust führt, gewarnt.
Kehren wir aber noch einmal in die Zeit nach 1945 zurück und betrachten wir, was es in Österreich in den ersten zehn Jahren nach dem zweiten Weltkrieg an (guter) Jugendliteratur gab.
* | |
Berücksichtigt man, dass ein Einzelheft im entgeltlichen Tauschsystem durch mehrere Hände ging, kann man sich eine Vorstellung von der unglaublich hohen Verbreitungsdichte dieser Literaturgattung in jener Zeit machen. Erst als erschwingliche Videorecorder auf den Markt kamen, verschwanden diese Geschäfte weitgehend und wurden nicht selten unmittelbar durch Videotheken ersetzt. |