Der Kampf gegen Schmutz und Schund in Österreich nach 1945

Die Maßnahmen

Die Schmutz und Schund Diskussion knüpfte an diesbezügliche Bestrebungen der Zwischenkriegszeit an, erreichte zeitweise eine unglaubliche Heftigkeit und Breitenwirkung und überschattet die Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur der ersten 20 Jahre der zweiten Republik. Es ging dabei nicht nur um die abenteurlichen Heftromane, sondern auch um Filme, Illustrierte, Jugendmagazine, Comics, 'unzüchtige' Darstellungen aller Art und überhaupt um jede Art 'seichter' (bloß der Unterhaltung dienender) Literatur, die (daher) geeignet war, Jugendliche ungünstig zu beeinflussen. Die Agitation war durchaus eine politische und nicht selten Gegenstand parlamentarischer Wortmeldungen. Um sich eine Vorstellung von der Ebene zu machen, auf der sich die Diskussion bewegte, einige Argumente aus offiziellen Wortmeldungen:

Nur durch das legistische Verbot von Schriften, die als jugendgefährdend eingestuft werden (dieser zersetzende Geistesfraß, dieser geistige Schweinefraß), sei eine neue vaterländische Blütezeit zu erwarten, in der sich ein sittlich starkes, heimattreues Geschlecht entwickeln werde; der Nationalrat müsse gegen dieses von Verbrechern und Gaunern ausgelöste Trommelfeuer der Roheit, Gewalt, Gemeinheit und Niedertracht vorgehen; es sei notwendig, einen Damm gegen eine Sintflut von Dreck zu errichten; es handle sich um eine Frage der (geistigen) Volksgesundheit; dem Streben der (starken, gesunden) Jugend nach Abenteuer solle durch Werke der Weltliteratur entgegengekommen werden; die Jugend müsse vor Einflüssen gewissenloser Geschäftemacher auf das jugendliche Triebleben geschüttzt werden; der kostbare Nachwuchs unseres Volkes müsse vor körperlicher und seelischer Verarmung geschütz werden; allein schon durch die primitive Darstellung und die mangelhafte und schlechte Sprache (der Comics) stellen sie eine Gefahr für die geistige Entwicklung junger Menschen dar; dieser eiserne Besen (Gesetz über die Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen und den Schutz der Jugend gegen sittliche Gefährdung, 1950) dürfe nicht lendenlahm benützt werden, damit der Schmutz und Schund nicht zur weiteren Verpestung der Jugendseele und Volksgesundheit und zur Entehrung der Frauenwürde und des ganzen Vaterlandes liegenbleibe.

Nur damit kein Missverständnis aufkommt: diese Wortwahl stammt nicht aus dem Reichspropagandaministerium sondern von Politikern der zweiten Republik in Österreich. Und das Ziel ihrer Wut waren zuerst die abenteuerlichen Heftromane, weil es anfänglich (1946/47) sonst noch nicht viel gab, an dem sie ihren Kulturkampf um die Rettung der abendländischen Werte festmachen konnten.
Die Schmutz- und Schundkamapagne wurde in Nationalratswahlkämpfen thematisiert. Die Breitenwirkung war so stark, dass 1955 eine Gesetzesinitiative, die den Verkauf von Comics an Personen unter 16 Jahren unter Strafe stellen sollte, angeblich durch 1.000.000 Unterschriften unterstützt wurde. Wenn diese Zahl stimmt, würde ein derartiges Volksbegehren unter den zehn erfolgreichsten der zweiten Republik rangieren.

Ausgelöst und vorangetrieben wurde die Diskussion von konservativ- katholischen Kreisen der ÖVP. Sozialisten und Kommunisten äußerten zwar ihr Unbehagen über die geforderten zensorischen Maßnahmen und Strafbestimmungen, heulten aber bald mit den Wölfen, weil sie dem politischen Gegner keine billige Angriffsfläche bieten wollten. Gegen den Jugendschutz konnte schließlich niemand etwas haben, um die Schundhefte war nicht schade und man musste auch die Wählermeinung und das wirtschaftliche Wohl der eigenen Verlage im Auge haben.
Mahnende Worte aus dem Kreise sozialistischer Vordenker, man könne gesellschaftliche Wertvorstellungen (besonders katholisch- konservative) nicht für alle Zeit verbindlich festschreiben und durch Zensur und Strafdrohungen absichern, verhallten ungehört und wurden erst 20 Jahre später wieder aufgegriffen. In einer grundsätzlichen Entscheidung, die sich zwar auf einen Pornografiefall bezog, aber darüberhinausgehende Bedeutung hatte, sprach der Oberste Gerichtshof Mitte der 70er Jahre in Abkehr von der bisherigen Judikatur aus, dass der Inhalt des (ein moralisches Werturteil beinhaltenden) Gesetzesbegriffes 'unzüchtig' nicht absolut feststehe, sondern (nur) relative Bedeutung habe und daher unter Heranziehung jeweils aktueller gesellschaftlicher Moral- und Wertvorstellungen ausgelegt werden müsse.
Nachdem sich 1946/47 aber alle maßgeblichen politischen Kräfte einig waren, konnte man zu konkreten Maßnahmen schreiten.

gut
schlecht
gut
schlecht
Abwechselnd ein 'gutes' und ein 'schlechtes' Romanheft
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