Die Schmutz und Schund Diskussion knüpfte an diesbezügliche Bestrebungen der Zwischenkriegszeit an, erreichte zeitweise eine unglaubliche Heftigkeit und Breitenwirkung und überschattet die Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur der ersten 20 Jahre der zweiten Republik. Es ging dabei nicht nur um die abenteurlichen Heftromane, sondern auch um Filme, Illustrierte, Jugendmagazine, Comics, 'unzüchtige' Darstellungen aller Art und überhaupt um jede Art 'seichter' (bloß der Unterhaltung dienender) Literatur, die (daher) geeignet war, Jugendliche ungünstig zu beeinflussen. Die Agitation war durchaus eine politische und nicht selten Gegenstand parlamentarischer Wortmeldungen. Um sich eine Vorstellung von der Ebene zu machen, auf der sich die Diskussion bewegte, einige Argumente aus offiziellen Wortmeldungen:
Nur durch das legistische Verbot von Schriften, die als jugendgefährdend eingestuft werden (dieser zersetzende Geistesfraß, dieser geistige Schweinefraß), sei eine neue vaterländische Blütezeit zu erwarten, in der sich ein sittlich starkes, heimattreues Geschlecht entwickeln werde; der Nationalrat müsse gegen dieses von Verbrechern und Gaunern ausgelöste Trommelfeuer der Roheit, Gewalt, Gemeinheit und Niedertracht vorgehen; es sei notwendig, einen Damm gegen eine Sintflut von Dreck zu errichten; es handle sich um eine Frage der (geistigen) Volksgesundheit; dem Streben der (starken, gesunden) Jugend nach Abenteuer solle durch Werke der Weltliteratur entgegengekommen werden; die Jugend müsse vor Einflüssen gewissenloser Geschäftemacher auf das jugendliche Triebleben geschüttzt werden; der kostbare Nachwuchs unseres Volkes müsse vor körperlicher und seelischer Verarmung geschütz werden; allein schon durch die primitive Darstellung und die mangelhafte und schlechte Sprache (der Comics) stellen sie eine Gefahr für die geistige Entwicklung junger Menschen dar; dieser eiserne Besen (Gesetz über die Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen und den Schutz der Jugend gegen sittliche Gefährdung, 1950) dürfe nicht lendenlahm benützt werden, damit der Schmutz und Schund nicht zur weiteren Verpestung der Jugendseele und Volksgesundheit und zur Entehrung der Frauenwürde und des ganzen Vaterlandes liegenbleibe. |
Nur damit kein Missverständnis aufkommt: diese Wortwahl stammt nicht aus dem Reichspropagandaministerium sondern von Politikern der zweiten Republik in Österreich. Und das Ziel ihrer Wut waren zuerst die abenteuerlichen Heftromane, weil es anfänglich (1946/47) sonst noch nicht viel gab, an dem sie ihren Kulturkampf um die Rettung der abendländischen Werte festmachen konnten.
Die Schmutz- und Schundkamapagne wurde in Nationalratswahlkämpfen thematisiert. Die Breitenwirkung war so stark, dass 1955 eine Gesetzesinitiative, die den Verkauf von Comics an Personen unter 16 Jahren unter Strafe stellen sollte, angeblich durch 1.000.000 Unterschriften unterstützt wurde. Wenn diese Zahl stimmt, würde ein derartiges Volksbegehren unter den zehn erfolgreichsten der zweiten Republik rangieren.
Ausgelöst und vorangetrieben wurde die Diskussion von konservativ- katholischen Kreisen der ÖVP. Sozialisten und Kommunisten äußerten zwar ihr Unbehagen über die geforderten zensorischen Maßnahmen und Strafbestimmungen, heulten aber bald mit den Wölfen, weil sie dem politischen Gegner keine billige Angriffsfläche bieten wollten. Gegen den Jugendschutz konnte schließlich niemand etwas haben, um die Schundhefte war nicht schade und man musste auch die Wählermeinung und das wirtschaftliche Wohl der eigenen Verlage im Auge haben.
Mahnende Worte aus dem Kreise sozialistischer Vordenker, man könne gesellschaftliche Wertvorstellungen (besonders katholisch- konservative) nicht für alle Zeit verbindlich festschreiben und durch Zensur und Strafdrohungen absichern, verhallten ungehört und wurden erst 20 Jahre später wieder aufgegriffen. In einer grundsätzlichen Entscheidung, die sich zwar auf einen Pornografiefall bezog, aber darüberhinausgehende Bedeutung hatte, sprach der Oberste Gerichtshof Mitte der 70er Jahre in Abkehr von der bisherigen Judikatur aus, dass der Inhalt des (ein moralisches Werturteil beinhaltenden) Gesetzesbegriffes 'unzüchtig' nicht absolut feststehe, sondern (nur) relative Bedeutung habe und daher unter Heranziehung jeweils aktueller gesellschaftlicher Moral- und Wertvorstellungen ausgelegt werden müsse.
Nachdem sich 1946/47 aber alle maßgeblichen politischen Kräfte einig waren, konnte man zu konkreten Maßnahmen schreiten.
1947 wurde beim Unterrichtsministerium die 'Kommission für Kinder und Jugendliteratur' eingerichtet.' Sie wurde beschickt von Vertretern der (parteipolitisch oder religiös orientierten) Jugendorganisationen, der Verleger, Schriftsteller und Schulbehörden. Ihre Aufgabe war die Begutachtung von Kinder- und Jugendliteratur. Ihre Empfehlungen wurden im Verordnungsblatt des Ministeriums veröffentlicht. Diese Empfehlungen hatten marktsteuernde und kulturpolitische Effekte. Für die Verlage war es von großer wirtschaftlicher Bedeutung, dass ihre Bücher positiv besprochen wurden. Die Erlangung eines Literaturpreises setzte praktisch gleichfalls die Wohlmeinung der Kommission voraus. Parallel dazu entwickelten sich Listen mit Negativprädikaten, die Titel beinhalteten, die von der Kommission für nicht empfehlenswert gehalten wurden. Man sieht, auf subtile Weise wurde eine Art faktischer Zensurbehörde eingerichtet. Damit nicht genug. Die Agitation sollte auf eine breitere Basis gestellt werden.
1948 wurde der Buchklub der Jugend gegründet und von Dr. Richard Bamberger geleitet, der bald als der Fachmann auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendliteratur galt und zu einer zentralen Figur des Kampfes gegen Schmutz und Schund wurde. Versucht man dem Inhalt seiner schriftlichen Äußerungen und seiner Vorträge zu folgen, lässt sich ein durchgebildetes, wissenschaftlich fundiertes Gedankengebäude nur sehr undeutlich erkennen. Man hat den Eindruck, dass er ohne eine logisch- konsequente Argumentationslinie einzuhalten primär mit Phrasen, Vorurteilen und unbewiesenen, oft wohl auch unbeweisbaren Behauptungen, die er mit Einzelbeispielen zu belegen suchte, arbeitete. Das entsprach aber dem Niveau der ganzen Diskussion und erwies sich als sehr publikumswirksam. Die Beurteilung Bambergers ist daher auch schwankend. Während ihm die einen alle Ehren zuteil werden lassen, halten ihn andere für einen populistisch agierenden Eiferer.
Der Buchklub der Jugend konstituierte sich als gemeinnütziger Verein zur Förderung des Lesens und der Kinder- und Jugendliteratur. Wie alle Institutionen, die parteiübergreifend tätig werden wollten und auf staatliche Unterstützung angewiesen waren, wurden die Funktionärsposten proporzmäßig (im Stärkeverhältnis der politischen Parteien) durch Personen besetzt, die der einen oder anderen Partei 'nahestanden'. Damit konnten sich die Parteien auf dem besonders sensiblen Gebiet des Schulwesens im Auge behalten und gegenseitig kontrollieren. Der Buchklub, der noch heute besteht, beschäftigt sich mit Leseerziehung und Lesemotivation. In den ersten Jahrzehnten nach seinem Entstehen bildete er die organisatorische Basis des Kampfes gegen Schmutz und Schund. Der Buchklub der Jugend verfügt derzeit- mehr als 50 Jahre nach seiner Gründung- über etwa 6000 Mitarbeiter an den Schulen und berichtet über einen Mitgliedsstand von etwa 400.000 Kindern und Jugendlichen, die gegen Entrichtung eines Mitgliedsbeitrages eine periodisch erscheinende Zeitschrift erhalten und vom Buchklub empfohlene Bücher verbilligt beziehen können. Diese Erfolgsgeschichte geht darauf zurück, dass der Kampf gegen Schmutz und Schund durch den Buchklub der Jugend von Anfang an in die Schulen getragen wurde und sich der Klub mit staatlicher Unterstützung an den Schulen dauerhaft verankern konnte.
Zitat aus dem Jahrbuch des Buchklubs der Jugend 1958 (Seite 26):*
"Es gibt Bücher, die den Leser nicht nach aufwärts führen, sondern hinabziehen. Meistens sind es Hefte, die schon durch ihre geschmacklose äußere Form - besonders durch ihre grellbunten Bilder - den seichten oder schlechten Inhalt verraten. |
Natürlich waren die Schulen der geeignete Ort, den Kindern nicht nur das Lesen beizubringen, sondern sie auch zum Lesen guter Bücher anzuleiten. Abgesehen davon waren die Schulen aber auch der geeignete Ort, entsprechend Druck auszuüben: Einerseits auf die durchgehend parteipolitsch gebundene Lehrerschaft, ehrenamtlich tätig zu werden, andererseits auf die Schüler und die Eltern, solche Bücher, die zum zusätzlichen Klassenlesestoff erklärt werden konnten, zu kaufen. Das funktionierte auch noch nach Jahrzehnten so mit den Leseheften des Jugendrotkreuzes und des Buchklubs der Jugend und ist die Ursache für die sonst nicht erklärbaren hohen Mitgliedszahlen.
Eine weitere Plattform zur Meinungsbildung waren die zahlenmäßig sehr starken Elternverbände. Bei Elternabenden oder an Elternsprechtagen konnte man die Eltern entsprechend informieren und sie erforderlichenfalls auch einladen, sich an Unterschriftenaktionen zu beteiligen. Für viele Eltern war es sehr schwer, sich diesem sozialen Druck zu entziehen. Teils aus Überzeugung, teils weil sie das schulische Wohl ihrer Sprösslinge im Auge hatten, teils weil sie sich angesichts anderer Eltern nicht einer Kampagne zum Wohl der Jugend verschließen wollten, unterschrieben sie.
Seinerzeit boten die Schulen aber auch die Bühne für weit dramatischere Aktionen. Es war sehr schwer, die schon im Umlauf befindlichen Schundhefte aus dem Verkehr zu ziehen. Taschenkontrollen in den Schulen brachten auch kein zufriedenstellendes Ergebnis. Also verfiel man in der ersten Hälfte der 50er Jahre auf die Idee, nach deutschem Vorbild jeweils eine bestimmte Anzahl von Schundheften (natürlich mit staatlicher Förderung) gegen ein gutes Jugendbuch einzutauschen. Die Aktion wurde in einem engen Zeitrahmen durchgeführt, um zu verhindern, dass die Kinder die herbeigetragenen Schundhefte untereinander tauschten, anstatt sie abzuliefern. Auch die Entsorgung musste wohlbedacht sein, damit nicht gewissenlose Subjekte Mülltonnen plünderten und mit Schätzen beladen flüchteten. Verbrennen war wohl das Beste. Manche Pädagogen übergaben den sichergstellten Schund im Kreise ihrer Schüler dem Feuer. Das Verbrennen missliebiger Literatur hatte damals in den Köpfen mancher Menschen durchaus noch Tradition. Es lässt sich nicht mehr sagen, wieviele Romanhefte diesen Aktionen zum Opfer fielen. Aus einzelnen Erfolgsmeldungen lässt sich abschätzen, dass die Gesamtzahl wohl unter 100.000 lag, was gemessen am Gesamtumlauf nicht besonders viel war. Trotzdem: Die Allianz aus Jugendschützern und Verlagen war zufrieden. Die einen, weil sie einen weiteren Sieg gegen den Ungeist der Trivialliteratur errungen hatten, die anderen, weil sie auf Staatskosten viele, in dieser Menge sonst unverkäufliche Bücher an den Mann gebracht hatten.
Eine weitere, auch aus dem Ausland übernommene Maßnahme bestand darin, gute Jugendliteratur im Heftformat zu vertreiben. Die jugendlichen Käufer sollten durch das äußere Erscheinungsbild, welches dem von Schundheften nachempfunden wurde, getäuscht werden und dann den 'guten' Inhalt mit Begeisterung lesen. Dieses naive Konzept versagte natürlich. Denn so blöd waren die Kinder und Jugendlichen auch nicht. Wer ein Schundheft kaufen wollte und einmal hereingefallen war, machte diesen Fehler kein zweitesmal. Die 'guten' Heftserien waren am Kiosk unverkäuflich, wurden in Romantauschgeschäften meist nicht angenommen und mussten letzlich über die mit dem Buchklub der Jugend kooperierenden Lehrer an den Schulen mit sanftem Druck vertrieben werden. Bei den oben geschilderten Umtausch- und Verbrennungsaktionen wurden mehrfach irregeleitete Schüler zurückgewiesen, die freudig solche 'guten' Romanhefte zur Vernichtung anboten.
1946/47 gab die 'sozialistische Jugend' (Verlag 'Vorwärts') Die Reihe "Alaska Kidd" heraus, in der heftchenweise der gleichnamige Roman von Jack London abgedruckt wurde. Die nicht sehr erfolgreiche Serie wurde mit Band 9 eingestellt. Um 1949 kamen die Kommunisten (Verlag 'Globus'- vgl. auch 'UZ') im Bemühen Gutes im Schundheftformat zu produzieren mit der Reihe "Das neue Abenteuer" auf den Markt. In dieser Heftreihe wurden abenteuerliche Texte von Jack Londen, Edgar Allan Poe und weniger bekannter Autoren abgedruckt. Zeitweise überschritten die Texte allerdings die Grenze zum 'Schundroman' und die Serie, die immerhin 50 Bändchen erreichte, wurde letztlich- wohl auch wegen der allzu reisserischen Titelbilder- zu den Schundheften gerechnet.
Erst die vom 'Buchklub der Jugend' vertriebenen Reihen "das grosse Abenteuer" und "die frische Saat" (samt Nebenreihen) waren inhaltlich völlig unbedenklich und konnten an Schulen als Lesestoff propagiert werden.
gut
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schlecht
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gut
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schlecht
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Abwechselnd ein 'gutes' und ein 'schlechtes' Romanheft
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Die ultimative Waffe der Jugendschützer war aber das 'Bundesgesetz vom 31. März 1950', kurz auch 'Pornographiegesetz' genannt, mit welchem sie der österreichischen Romanheftproduktion den entscheidenden Schlag versetzen konnten, freilich ohne darüberhinaus das Problem nachhaltig in den Griff zu bekommen.