Österreichische Schulbücher

Vom Ende der Monarchie bis in die 50er

Die Entwicklung des Schulwesens in Österreich nach 1945

Gegen Ende des zweiten Weltkrieges wurde in der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 der Anschluss Österreichs an Deutschland für null und nichtig erklärt. Bis zum Staatsvertrag von 1955 und dem Abzug der letzten Besatzungstruppen war die Souveränität Österreichs eingeschränkt. Innenpolitisch ist die Situation der zweiten Republik vereinfacht gesagt durch eine Kooperation der beiden großen Parteien, Sozialdemokraten und Christlichsoziale gekennzeichnet, die trotz aller Gegensätze oft zu großen Koalitionen zusammenfanden.
Diese beiden großen Parteien Österreichs einigten sich auch darauf, schulpolitische Vorhaben nur einvernehmlich durchzuführen. Diese Einigung wurde in der Verfassung verankert, und seitdem durften Schulgesetze in Österreich nur mit einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments geändert werden.
Der zentrale Streitpunkt seit den 20er Jahren war die Einführung der von den Sozialdemokraten geforderte Gesamtschule. Das ist die gemeinsame Schule aller 10 bis 14-jährigen, um die allzu frühe Weichenstellung, nämlich ob nach der vierklassigen Volksschule die Hauptschule oder eine Mittelschule besucht werden soll, zu vermeiden und die bildungsmäßige Chancengleichheit zu erhöhen. Weil diesbezüglich kein Konsens zwischen den Großparteien erzielt werden konnte, wurde die Hauptschule nach und nach so umgestaltet, dass sie in den höheren Leistungsgruppen der parallel dazu existierenden Unterstufe der Mittelschule entsprach.

1945 wurden die Lehrpläne aus der Zeit des Nationalsozialismus außer Kraft gesetzt, und im wesentlichen auf die Situation vor 1934 zurückgegriffen.
Neben den zur Hochschulreife führenden Mittelschulen (heute: AHS), die im Vergleich zur heutigen Situation noch von relativ wenig Schülern besucht wurden, war die 1927 eingeführte vierklassige Hauptschule die wichtigste Bildungseinrichtung für die Masse der Bevölkerung. Die Hauptschulen wurden dort, wo es organisatorisch möglich war, also vor allem in den Ballungsgebieten in klassenmäßig getrennten zwei Zügen geführt. Der erste Klassenzug war den leistungsmäßig erfolgreicheren Schülern vorbehalten. Daraus eintwickelte sich eine in der schulischen und sozialen Realität deutlich spürbare "Zweiklassengesellschaft". Der erfolgreiche Abschluss des ersten Klassenzuges, von dem auch der Übertritt in eine Mittelschule möglich war, war ebenso Voraussetzung für das Erlangen einer 'guten' Lehrstelle.

Mitte der 50er Jahre drängten geburtenstarke Jahrgänge nach Abschluss der Hauptschule auf den Arbeitsmarkt. Um eine der begehrten Lehrstellen etwa als Schlosser oder Elektriker in einem Großbetrieb mit eigener Lehrwerkstätte zu bekommen, waren Voraussetzung der Hauptschulabschluss im ersten Klassenzug mit guten Noten und eine Aufnahmsprüfung, die aus einem recht anspruchsvollen Wissenstest bestand. Gefordert wurde beispielsweise in Mathematik die Lösung von Gleichungen mit zwei Unbekannten oder von ausgeklügelten Textgleichungen. Einzelne Firmen nahmen zusätzlich umfangreiche psychologische Testungen der Kandidaten vor, was damals - vor 50 Jahren - eine ausgesprochene Novität war. Für die relativ grosse Zahl von Schulabgängern, die keine Lehrstelle fanden, wurde an Hauptschulen der sogenannte Einjährige Lehrkurs eingerichtet, aus dem sich später das neunte Pflichtschuljahr entwickeln sollte. Der Besuch des Einjährigen Lehrkurses war freiwillig und konnte jederzeit abgebrochen werden, wenn der Schüler doch noch eine Lehrstelle fand. Der Unterricht vertiefte den Stoff der vierten Klasse Hauptschule und versuchte durch praktische handwerkliche Übungen den Schülern eine Entscheidungshilfe bei der Berufswahl zu bieten. Wie man sieht, waren damals die Probleme beim Eintritt Jugendlicher ins Berufsleben von der heutigen Situation gar nicht so verschieden.

Die Schulgesetze von 1962 stellten das österreichische Schulwesen der Zweiten Republik auf eine einheitliche Rechtsbasis. Die Schulpflicht wurde generell auf auf neun Jahre verlängert.
1975 wurde die Koedukation an öffentlichen Schulen als Regelfall eingeführt. In der Folge wurden geschlechtsdifferenzierte Lehrpläne (beispielsweise in Handarbeit, Werken, geometrisches Zeichnen usw.) weitgehend beseitigt.
In den 80er Jahren wurde an den Hauptschulen die allgemeine leistungsmäßige Differenzierung in zwei Klassenzüge abgeschafft und stattdessen drei fächerspezifische Leistungsgruppen eingeführt, wobei das erste, zum Teil auch das zweite Leistungsniveau dem Mittelschulniveau entsprach. Gleichzeitung wurden im Hinblick auf den möglichen Übertritt in eine AHS die Lehrpläne von Hauptschule und AHS-Unterstufe einander angeglichen.

Inzwischen dominiert ein weiteres konfliktträchtiges Problem die Schulpolitik. Während in den ländlichen Gebieten die Hauptschulen meist auf einem hohen Niveau arbeiten, beträgt in den Ballungszentren der Anteil von Schülern mit nicht deutscher Muttersprache, die oft auch aus sozial benachteiligten Verhältnissen stammen, bei steigender Tendenz stellenweise schon zwischen 50 bis 80%, was die Gefahr einer abgesenkten Nivellierung des Unterrichts mit sich bringt, um möglichst vielen Schülern den positiven Schulabschluss zu ermöglichen. Um ihre Bildungschancen zu wahren und wohl auch um sozialen Konflikten mit (bisweilen schon zahlenmäßig überlegenen) Mitschülern aus fremden Kulturkreisen auszuweichen, frequentiert ein relativ hoher Anteil von Schülern deutscher Muttersprache die Unterstufe der AHS, auch wenn nicht die Absicht besteht, die Matura zu machen. Einerseits erfüllt die Unterstufe der AHS so bereits teilweise das Konzept der Gesamtschule, andererseits entsteht in Relation zur städtischen Hauptschule mit überproportionalem Ausländeranteil eine neue unerwünschte bildungsmäßige und soziale Differenzierung. Nicht zuletzt unter integrationspolitischen Gesichtspunkten gewinnt die Diskussion um die Gesamtschule als Pflichtschule damit eine weitere Dimension.

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Nach 1945

1945, nach dem Ende des zweiten Weltkrieges herrschte auf dem Gebiet des Schulbuches im Wesentlichen dieselbe Situation wie bei der Kinder- und Jugendliteratur überhaupt. Der Bestand aus dem Dritten Reich war nicht mehr verwendbar, die Neuproduktion lief schleppend an und orientierte sich wenig innovativ an bewährten Konzepten und Vorlagen der Vorkriekszeit.
Unser erstes Buch, Verlag für Jugend und Volk, 1946; Lesefibel für den Anfangsunterricht; Mitte, eine Abbildung aus diesem Buch.
Rechts, Aus dem Leben zweier Wiener Kinder 1, Österreichischer Bundesverlag / Verlag für Jugend und Volk, 1946, kleinformat, broschürt; Lesestücke und Reime für Kinder der zweiten Klasse.

Mein erstes Buch und Mein zweites Buch Leykam Verlag / Österreichischer Bundesverlag / Verlag für Jugend und Volk; 1947; Lesefibel für den Anfangsunterricht, Österreichische Stadtfibel
Rechts, Kinder, gebt acht! Schulbuch zur Verkehrserziehung; Österreichischer Bundesverlag / Verlag für Jugend und Volk; 1951

Murli Brumm und andere lustige Leute
Die bekannte Kinder- und Schulbuchserie des Verlages für Jugend und Volk
mit vollständiger Auflistung der erschienen Bändchen

Diese schönen Heftchen (die Reihe umfasste etwa 30 Bände) erschienen ab 1946 im Verlag für Jugend und Volk, und waren zum Unterrichtgebrauch an Schulen zugelassen.
Die jeweils innen zitierten Erlässe des Bundesministeriums für Unterricht, mit denen die Bändchen zum Gebrauch als Klassenlesestoff zugelassen wurden, stammen überwiegend aus den 20er Jahren. Man griff also auf bewährte Vorkriegstexte zurück und übernahm die seinerzeitige Aprobierung, womit auch die staatliche Kontinuität mit dem Vorkriegsösterreich betont wurde.
Für jede Schulstufe gab es einige Hefte, die teilweise in verschiedenen Schriftarten gedruckt waren. Ein gebräuchlicher Ausdruck für Druckschrift war in diesem Zusammenhang 'Heinzelmännchenschrift'. Die Hefte mussten von den Schülern, bzw. ihren Eltern gekauft werden, wobei der Preis zwischen zwei und drei Schillingen lag.

Von links nach rechts: Beobachte und Versuche!, Naturlehre 2. Teil für die dritte Klasse der Mittel und Hauptschulen, 1947 zum Unterrichtsgebrauch zugelassen; 1954
Austria Romana, ein Lesebuch für den lateinischen Anfangsunterricht, Verlag für Jugend und Volk / Hölder - Pichler - Temsky / Österreichischer Bundesverlag, 1951 zum Unterrichtsgebrauch zugelassen, 1954
Die 'Standardschulbücher' mussten von den Schülern gekauft, oder, was oft die Regel war, in der Schule entlehnt werden. Am Ende des Schuljahres hatte der Schüler die pfleglich behandelten Bücher zurückzugeben, damit sie für die nachfolgende Klasse bereitstanden.
Dieses System führte dazu, dass Schulbücher jahrelang gleich blieben und sich neuere Auflagen nur geringfügig von vorangegangenen unterschieden. Ergänzt wurden die Standardschulbücher durch zusätzlichen Klassenlesestoff, der im preiswerten Heftformat von den Schulern zugekauft werden musste. Beispiele dafür - für viele - sind die Bändchen der oben gezeigten 'Murli Brumm'- Reihe oder das Leseübungsheft für Volksschulen Wunder des Alltags, 1949

Daneben wurden Lesehefte eigener Art in den Schulen vertrieben. Als bereits kurz nach dem Krieg die Schmutz und Schund- Diskussion in aller Heftigkeit aufflammte, gelang es dem Buchklub der Jugend, der die organisatorische Basis für die Bekämpfung der Romanheft- und Comicliteratur bildete, sich als geradezu halboffizielle Institution dauerhaft an den Schulen zu verankern, dort die Produktionen der kooperierenden Verlage zu bewerben und - ebenso wie das Jugendrotkreuz - vor allem seine periodischen, kinderzeitungsähnlichen Publikationen an den Mann zu bringen. Dieser Vertrieb erfolgte über die Lehrerschaft. Man muss sich das so vorstellen. Zu Beginn des Schuljahres fand eine Besprechung zwischen Klassenlehrer und Eltern statt, in denen den Eltern dringend ans Herz gelegt wurde, diese Hefte, die auch als Klassenlesestoff dienen konnten, für ein Jahr zu bestellen; das funktionierte - auch heute noch - fast immer.
Das mittlere Bild zeigt Ein Heft der Reihe Das grosse Abenteuer. Als gute Lteratur im Romanheftform konzipiert wurden auch diese Hefte von der Lehrerschaft beworben.
Ganz rechts, ein Heft aus 1953 des Österreichischen Schulfunkes, der 1936 begründet bereits kurz nach dem Krieg seine Tätigkeit wieder aufgenommen hatte. Es wird Sie nicht überraschen zu hören, dass sich auf der Rückseite des Heftes eine ausdrückliche Aufforderung an den Lehrer findet, den Verkauf an die Schüler zu fördern.
Nun mögen diese Druckwerke ihren Wert gehabt haben, eine dringende pädagogische oder schulische Notwendigkeit für ihren Kauf bestand nicht. Man muss sich darüber im klaren sein, dass in der damaligen Zeit für manche Eltern diese Zusatzausgaben durchaus ins Gewicht fielen und es für Verlage und Institutionen eben auch ums Geld ging, das sie auf diese Weise über die Schulkinder von deren Eltern lukrierten. Man kann das durchaus als Sonderfall des unter dem Schlagwort Kinder als Kaufmotivatoren beschriebenen Mechanismus sehen.

Die Situation auf dem Schulbuchsektor blieb bis Anfang der 70er Jahre im Wesentlichen unverändert. Seit in Österreich 1972 die Gratisschulbücher, zu denen die Schüler nunmehr natürlich einen spürbaren finanziellen Beitrag zu leisten haben, eingeführt wurden, entstand eine neue Generation von Schulbüchern, die teilweise vom Konzept des klassischen Lehrbuches abrückt und den Schüler auch unter Verwendung von für den Einmalgebrauch bestimmter Arbeitsbücher anleiten will, sich dem Lernstoff über entsprechende Fragestellungen zu einzelnen Themen möglichst selbständig anzunähern.
Seither hat sich das Angebot an Schulbüchern dramatisch vervielfacht und verschafft einschlägigen Verlagen einen entsprechenden, gesicherten Absatz

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