Die Entwicklung des Pflichtschulwesens in Österreich bis 1919
Wer sich mit Kinderliteratur im weitestens Sinn beschäftigt, stößt unweigerlich auf das Thema Schulbuch. Denn diese Bücher sollen schon ihrer Zweckbestimmung nach all das verkörpern, was vom "guten" Kinderbuch erwartet wird. Das Schulbuch soll belehren, erwünschte soziale Verhaltensweisen einprägen und wenn möglich, dort, wo es nicht nur um die Vermittlung von Fakten geht, also etwa in den 'Lesebüchern' auch unterhalten; aber nicht zu sehr: Ernsthaftigkeit ist meistens angesagt. |
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Die Tradition, einerseits von Staaten mit absolutistischen Tendenzen, sich der Kirche als staatseinigender machterhaltender Institution zu bedienen und andererseits der Kirche, die Staatsgewalt zur Durchsetzung ihres religiösen und weltanschaulichen Machtanspruches in Anspruch zu nehmen, läßt sich in ungebrochener Linie bis in die Antike zurückverfolgen. |
Links: So sah es um 1850 in einer ländlichen Volksschule aus (Zeichnung um 1850) |
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Diese Angaben schwanken zeitlich und regional sehr stark, geben aber einen ungefähren Eindruck von den Größenordnungen und erklären warum oft vom "armen Dorfschulmeisterlein", bei dem stets ein Mangel an Bargeld herrschte, die Rede ist.
Zu den Pflichten des Schullehrers, der zwar vom Pfarrer beaufsichtigt, aber von der Gemeinde besoldet wurde, gehörten im Allgemeinen nicht nur das Unterrichten der Kinder sondern auch Mesner- und Organistendienste. Auch hatte der Lehrer die Schulkinder in die Kirche und zu allen Andachtsübungen zu begleiten und für Ordnung und gebührliches Benehmen zu sorgen. |
Der nebenstehende Text stammt aus einem Büchlein von 1850, das sich in eher humoristischer Weise dem Thema Schule annähert, aber deutlich macht, wie sehr die Anforderungen an Schulabgänger gestiegen waren. |
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Um das Bildungsangebot praxisorientiert zu differenzieren, wurde 1868 die 7 klassige Realschule als lateinlose höheren Schule mit modernen Fremdsprachen und Betonung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Ausbildung geschaffen. Diese Realschule geht auf berufsorientierte frühere Schulformen für Kaufleute, Kameralisten, Landwirte, Künstler usw. zurück und wurde 1927 nach hinzufügen einer 8. Klasse ein dem Gymnasium gleichwertiger Schultyp (heute: Realgymnasium).
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Ebenfalls 1869 wurde der Kirche die Bildungsaufsicht entzogen und damit das Schulsystem dem Staat unterstellt. Liberale Kreise hatten schon lange den zunehmenden Einfluss der Kirche im Staat mit Sorge beobachtet. Das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes, das eine Reaktion auf den Verlust des Kirchenstaates im Zuge der italienischen Staatseinigung war, vertiefte diese Bedenken. 1870 wurde das Konkordat von Österreich aufgekündigt. Formaljuristisch wurde damit argumentiert, dass der (nunmehr in Sachen der Lehre unfehlbar gewordene) Vertragspartner kraft eigener Definition nicht mehr mit jenem Vertragspartner ident sei, mit dem 1855 das Konkordat geschlossen worden war. Dennoch übten die Kirche und ihre Lehrer noch lange entscheidenden Einfluss in den Schulen aus. |
Links: Festgabe der Gemeinde Wien an die Jugend anläßlich des 60-jährigen Regierungsjubiläums von Kaiser Kranz Josef I (1908) |
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In dem vom Zerfall bedrohten Vielvölkerstaat der Donaumonarchie waren Ergebenheit gegenüber dem Herrscherhaus und Hinwendung zu einer glanzvollen Vergangenheit des kaum 100 Jahre alten Reiches zentrale Themen in der offiziellen Jugendlektüre und natürlich auch in den Schulbüchern. |
So sah es 1917 in einem Klassenzimmer einer ländlichen Volksschule aus. Links die Buben, meist kurzgeschoren und manche barfuß, rechts die Mädchen, alle die Hände ordentlich auf den Tisch gelegt. |
Und aus solchen Büchern lernten die Kinder damals in den 8- klassige Volksschulen : |
Links: Deutsches Lesebuch für Bürgerschulen, für Knaben und Mädchen (Ausgabe für Wien), Kais.königl. Schulbücher-Verlag Wien, 1914. Das Titelbild zeigt die innere Hofburg mit dem Denkmal des ersten Kaisers der Doppelmonarchie Franz I |
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Das Bildungsangebot in Bürgerschulen war deutlich höher als in den oberen Klassen der achtklassigen Volksschule (wenngleich meinem Eindruck nach nicht so stark praxisorientiert) und auch die Ausstattung mit Büchern war reichlicher. |
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Man darf die Einführung gesonderter Lehrpläne für Buben und Mädchen aber nicht nur unter dem negativen Gesichtspunkt eines gewollt reduzierten Bildungsangebotes für Mädchen sehen. |
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