Vorweg: Ich will keine zusätzliche Unterteilung in Kinder- und Jugendliteratur vornehmen, weil die Grenze fließend und die Problemstellung gleich ist. Gehen wir davon aus, dass Jugendliteratur für ältere Kinder bis an die Grenze zum Erwachsenwerden gedacht ist.
Fast jeder hat eine ziemlich klare Vorstellung davon, was man unter Kinderliteratur versteht und was ein Kinderbuch ist. In jedem größeren Buchladen findet man ein Regal oder eine ganze Regalwand mit der Aufschrift 'Kinder und Jugendbücher'. Dort ist alles versammelt, von 'Don Quichotte' bis 'Micky Maus' , was nach aktueller Auffassung für Kinder bestimmt und geeignet ist.
Was für Kinder bestimmt und geeignet ist ! Damit ist die Grundbedingung für die herkömmliche Definition des Begriffes Kinderliteratur gegeben. Kinderliteratur ist nicht unbedingt das, was Kinder lesen, wenn man sie ihren Lesestoff frei wählen läßt, sondern das, was ihnen die erziehende Generation als Lesestoff zuteilt. Kinderliteratur ist aus Sicht der Zielgruppe daher immer fremdbestimmt.
Dieses Prinzip führte dazu, dass schon sehr früh Kinderliteratur als Mittel der pädagogischen und weltanschaulichen Beeinflussung eingesetzt wurde und diese Zielsetzung geradezu im Zentrum der Kinderliteratur steht.
Nun gibt es Kinderbücher, die von den Erziehenden für pädagogisch wertvoll gehalten und auch von Kindern gerne gelesen werden: Das ist der Idealfall, der aber nicht so oft vorkommt, wie es zu wünschen wäre.
In allen Darstellungen zum Thema Kinderliteratur stößt man daher auf ein Definitionsproblem, das sorgsam umgangen wird. Was ist mit jenen Büchern und Zeitschriften, die von Kindern oft begeistert gelesen, und die nicht selten sogar für diesen Konsumentenkreis produziert werden, die aber nach Meinung von Pädagogen und Literaten pädagogisch wertlos,vielleicht sogar schädlich sind. Kann man diese Machwerke als Kinder- oder Jugendliteratur bezeichnen, bloß weil sie von diesem Personenkreis gelesen werden, oder muss man das Prädikat 'Literatur' dem 'guten, wertvollen' Jugendbuch vorbehalten und in Kontrast zu allen anderen 'minderwertigen' Druckerzeugnissen stellen, die Kinder zwar erfreuen mögen, der Entwicklung der kindlichen Seele aber nicht förderlich sind - nach Meinung jener, die bestimmen was ein 'gutes' Kinder- oder Jugendbuch ist.
Aber: Wer sagt uns denn, was ein gutes Jugendbuch ist, oder welche Art Literatur die Leute überhaupt lesen sollen?
Es hat immer wieder Bestrebungen gegeben, das gedruckte Wort als Instrument der Massenbeeinflussung durch geeignete Maßnahmen - bis hin zur Zensur - in gewünschte Bahnen zu lenken. Auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendliteratur ist das aber eine permanente Problemstellung, einfach deshalb, weil die Erziehenden den Heranwachsenden nur nach und nach und bisweilen widerwillig das Recht auf Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit zugestehen wollen, was innerhalb vernünftiger Grenzen ja auch gerechtfertigt ist.
Die Frage, welche Art Literatur für Kinder und Heranwachsende geeignet ist, wurde schon sehr früh gestellt. Bereits Platon ( 427 bis 347 v. Chr.) beschäftigt sich in seinem Dialog "Der Staat" eingehend mit diesem Problem. Zwar gab es damals noch keine Kinderliteratur als eigenständige Literaturform, aus dem vorhandenen Bestand an Dichtungen sollten aber aber jene von Kindern ferngehalten werden, die den Erziehungszielen abträglich waren. Auch zensorische Eingriffe in die Homer zugeschriebenen Dichtungen schienen Platon durchaus angemessen.
" Sollen wir nun so leichthin es zulassen,daß die Kinder alle beliebigen von jedem Beliebigen gedichteten Fabeln hören und in ihren Seelen meistenteils entgegengesetzte Meinungen erfassen gegen jene, welche sie unserer Ansicht nach haben sollen, wenn sie erwachsen sind? Nein, in keinerlei Weise werden wir dies zulassen. |
Wenden wir uns nun der Anfangszeit der deklarierten Kinderliteratur zu, in der praktisch ausschließlich die Erziehenden den Lesestoff für Kinder bestimmten und damit ihre erzieherischen Intentionen transportieren konnten.
Sieht man von Frühformen ab, die zwar von kulturgeschichtlichem Interesse sind, aber nur einen kleinen Teil der Bevölkerung erreichten, findet sich Kinderliteratur als breitenwirksame Literaturform, die über religiöse Traktate und Unterrichtsmaterial hinausgeht, erst seit dem Ende des 18. Jhdts.
Will man den Beginn des Kinder- und Jugendbuches als selbstständige Literaturgattung an einem bestimmten Werk festmachen, bietet sich hiefür zuallerst Robinson der Jüngere von Joachim Heinrich Campe an.
Campe lebte von 1746 bis 1818 und war ein anerkannter Schriftsteller, Pädagoge und Sprachforscher. Robinson der Jüngere, jenes Werk, durch das er auch heute noch bekannt ist, erschien in zwei Teilen 1779 und 1780 in Hamburg. Campe ging es dabei darum, in unterhaltsamer Weise erzieherische Gedanken zu transportieren und nicht sosehr darum, ein eigenständiges literarisches Werk zu verfassen.
Bei der Suche nach einem geeigneten Stoff stieß er auf Daniel Defoe's Robinson Crusoe und er varrierte das Thema, um die von ihm angestrebte erzieherische Wirkung optimal zu erzielen. Dabei bekannte er sich uneingeschränkt - wie schon der Titel zeigt - zu seinem literarischen Vorbild.
Anders als im Original wird Robinson bei Campe nach seiner Ankunft auf der Insel jeglicher Hilfsmittel beraubt. Denn er soll sich ganz allein, ohne alle Werkzeuge, bloß mit seinem Verstand und mit seinen Händen helfen, um zu zeigen, wie hilflos der einsame Mensch ist, und wieviel Nachdenken und Strebsamkeit notwendig ist, um in einer solcher Situation die eigene Lage zu verbessern. Das Zusammenleben mit dem Eingeborenen Freitag, der später zu Robinson stößt, soll zeigen, wie sehr schon die bloße Geselligkeit den Zustand des Menschen verbessern kann.
Das Werk, das Rousseausche Vorstellungen mit zeitgmäßen pädagogischen Gedanken verknüpfte, fand ungeheuren Widerhall, erlebte weit mehr als 100 Auflagen und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Campe selbst legt im Vorwort zu Robinson der Jüngere seine Zielsetzungen fest, die ich sinngemäß verkürzt wiedergebe:
1) 'Erstlich wollte ich meine jungen Leser auf eine so angenehme Weise unterhalten, als es mir möglich wäre....' (Es soll also Unterhaltung geboten werden)
2) 'Dann nahm ich mir zweitens vor, an den Faden der Erzählung....so viele elemantarische Kenntnisse aller Art zu schürzen, als es.....nur immer geschehen könnte.'
3) 'Nebenbei wollte ich freilich auch drittens manche nicht unerhebliche... Vorkenntnis....aus der Naturgeschichte mitnehmen...' (zu 2 und 3: Es soll Wissen vermittelt werden)
4) Meine vierte und wichtigste Absicht war, die Umstände und Begebenheiten so zu stellen, dass recht viel Gelegenheiten zu moralischen dem Verstande und dem Herzen der Kinder angemessenen Anmerkungen, und recht viele natürliche Anlässe zu frommen, gottesfürchtigen Empfindungen daraus erwüchsen' (Dem Kind sollen moralische und religiöse Werte vermittelt werden)
5) 'Meine fünfte Absicht.....ein Buch, welches die Kinderseelen aus der fantastischen Schäferwelt, welche nirgends ist....in diejenige wirkliche Welt, in der wir uns dermalen selbst befinden...zurückführt..' (Keine trivialen Scheinwelten, sondern die Realität des Lebens sollen dargestellt werden: Ein Anliegen, das generell in der Ablehnung der sogenannten Trivialliteratur - bis hin zu zensorischen Maßnahmen - vertreten wurde)
Damit waren gleichsam Standards deklariert, an denen sich in der Folge die gesamte Gattung des unterhaltsamen und gleichzeitig erzieherisch wertvollen Kinder- und Jugendbuches orientierte.
Die Romantik, welche die Geistesströmung der Aufklärung kontrastierte, redete zwar einer freien Entfaltung der Kinderseele das Wort, hinterließ aber in der Kinderliteratur nur wenig Spuren. Vielmehr setzte sich das Prinzip der - auch literarischen - Disziplinierung und Abrichtung der Kinder immer stärker durch.
Etwa ab der Mitte des 19. Jhdts entstand eine weitere besondere Spielart der Kinderliteratur, die der sogenannten Schwarzen Pädagogik ( Katharina Rutschky) zugerechnet wird: Diese Bücher werden auch als Warn- und Strafgeschichten bezeichnet.
Für jüngere Kinder wurden in reich bebilderte Büchern mit lustigen Versen drastische Strafen für Fehlverhalten in Aussicht gestellt (beispielsweise 'Der Struwelpeter' oder 'Max und Moritz' um nur zwei bekannte von vielen zu nennen). Das Schema dieser Geschichten ist ganz einfach. Es wird ein Kind gezeigt, das oft entgegen elterlicher Anordnung ein verpöntes Verhalten setzt und dafür sofort eine Strafe erleidet, die nicht selten in Tod oder körperlicher Verletzung besteht. Diese einfache Verknüpfung von Fehlverhalten und Strafe macht dem Kind, das so zu unbedingtem Gehorsam und Angepasstsein erzogen werden soll, ganz deutlich: Gesellschaftliche Konventionen sind zu respektieren und Anordnungen höherer gesellschaftlicher Instanzen ohne weitere Diskussionen zu befolgen. Die Art der Strafen folgt offenbar dem Gedanken, dass eine Strafe um so abschreckender wirkt, je härter sie ausfällt.
Besonders in der Wilhelminischen Ära fand diese Art der Kinderliteratur weite Verbreitung.
Heinrich Hoffmann: 'Der Struwelpeter', 1845
Der Bildausschnitt stammt aus der Episode 'Die Geschichte vom Daumenlutscher' und zeigt wie dem allein zu Hause gebliebenen Knaben Konrad, der trotz mütterlicher Ermahnung am Daumen gelutscht hatte (Und vor allem Konrad, hör! Lutsche nicht am Daumen mehr), von einem dämonischen Schneider, der plötzlich ins Haus springt, beide Daumen abgeschnitten werden. So sehr die Verse auch seit mehr als 150 Jahren ins Ohr gehen, es handelt sich einfach um Erziehung durch Furcht in Form eines Kinderbuches. |
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So beginnt die Geschichte von Max und Moritz, Wilhelm Busch, 1865
Zugegeben, diese beiden Knaben sind ein Ausbund an kreativer Bosheit, weshalb sie am Ende auch bei lebendigem Leib zermahlen und an Meister Müller's Federvieh verfüttert werden. Eine Lösung, die manchem geplagten Pädagogen höchst zufriedenstellend erscheinen mußte. |
Das Strafgericht |
Dieses geradezu erschreckende Beispiel stammt aus dem Bilderbuch 'Fritz und Franz, die Bösen Buben von Berlin', Berlin, kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges.
Die beiden Knaben waren permanent ungehorsam, hatten eine Reihe relativ harmloser Streiche begangen und zuletzt die Affen im Zoo geneckt. Ein erboster Affe riß einem von ihnen daraufhin ein Ohr ab und dem anderen die Haare aus. Der gute Vater (so ausdrücklich der ernst gemeinte Text) nahm diesen Vorfall aber zum Anlass, sie in Zwangserziehung zu schicken. |
Der Bestand an Kinder- und Jugendliteratur für ältere Kinder stellte sich um 1900 etwa so dar:
Es wurden dem Beispiel Campes folgend oft Werke, die ursprünglich gar nicht für Kinder bestimmt waren, erzieherischen Grundsätzen entsprechend adaptiert und zur Jugendlektüre erklärt. Es handelt sich um die klassischen Kinderbücher, die sich auch heute noch (hauptsächlich bei Erwachsenen) ungebrochener Beliebtheit erfreuen wie zum Beispiel: 'Don Quichote', 'Robinson Crusoe', 'Gullivers Reisen', 'Die Schildbürger', 'Till Eulenspiegel', 'Münchhausen', Märchen und Sagensammlungen, bisweilen auch Rittergeschichten und bearbeitete Werke der Weltliteratur, etwas später traten deklarierte Jugendbücher, teilweise Übersetzungen aus dem Englischen hinzu, wie Mark Twain's 'Tom Sawyer', Stevensons 'Schatzinsel' oder 'Onkel Toms Hütte'. 'Für die reifere Jugend', wie die Widmung im Buchinneren oft aussagte, waren neben Reiseberichten patriotische und vaterländische Motive vorgesehen, nicht selten vor dem Hintergrund der napoleonischen Kriege. Dazu kamen (von den Erziehenden oft gar nicht gern gesehen) die Erzählungen von Karl May oder Cooper's 'Lederstrumpf'. Die Anforderung, die an ein Jugendbuch gestellt wurde, ließ sich in den Worten des ausgehenden 19. Jhdt. so ausdrücken: 'Das Jugendbuch soll belehren, die Gottesfurcht und Vaterlandsliebe stärken und auch Erwachsenen wohlgefällig sein'. Mit anderen Worten: Das Kind sollte vor allem folgsam sein. Denn aus folgsamen Kindern wurden angepasste Erwachsene und gehorsame Soldaten, die bereit waren, für das geliebte Vaterland in den Tod zu gehen. So sollte es allgemeinen Moralvorstellungen zufolge sein und so war es auch der Obrigkeit recht.
'Festgabe der Gemeinde Wien zur Erinnerung an die Befreiungskriege 1813, von der Gemeinde Wien ihrer Jugend dargeboten', Wien, 1913
Die napoleonischen Kriege, in welchen das erste deutsche Kaiserreich sein Ende fand und das Kaisertum Österreich entstand, war das zentrale geschichtliche Ereignis am Beginn des 19. Jhdts., dessen Auswirkungen sich in einer deutlich erkennbaren Folge von Ursache und Wirkung bis zum ersten Weltkrieg und darüber hinaus verfolgen lassen. |
Diese Situation auf dem Gebiet des Kinder- und Jugendbuches dauerte bis weit nach dem ersten Weltkrieg an. Zwar gab es vereinzelte Lichtblicke, wie etwa Hugh Lofting's Geschichten von 'Doktor Dolittle' (deutsche Erstausgabe verlegt in den 30er Jahren bei Williams & Co, Berlin), Erich Kästner mit 'Emil und die Detektive' oder die Kinderbücher von Umlauf- Lamatsch, die ansonst aber weiterhin triste Szene der Kinderliteratur wurde zunehmend durch nationale Themen ergänzt, wie deutsche Dichter in handlichen Broschüren, deutsche Heldensagen und bisweilen durch ausgesprochen faschistisches Gedankengut.
In der Zwischenkriegszeit trat allerdings auch eine Situation ein, in welcher einerseits das Monopol der älteren Generation, den Lesestoff für die Jugend vorzugeben, entscheidend in Frage gestellt und andererseits Lesestoff für Kinder ausschließlich mit Unterhaltungscharakter und ohne belehrenden Zeigefinger hergestellt wurde.
Es war nämlich ein starkes Zunehmen insbesondere der abenteuerlichen Romanheftliteratur festzustellen. Groschenhefte - wie man sie nannte - hatte es schon früher gegeben und sie waren auch schon früher (meist unerlaubt) von Kindern und Jugendlichen gelesen worden. In den 30er Jahren etablierten sich aber Heftromanserien mit bisher nicht gekannter Auflagenstärke, die hunderte von Folgenummern erreichten und sich grosser Popularität erfreuten. Als Beispiele für zahlreiche seien genannt: 'Rolf Torring' und 'Jörn Farrow'
Diese Heftchen waren praktisch überall um wenig Geld erhältlich und wurden nicht selten von Kindern und Jugendlichen gelesen, die ihre Leselust und Phantasie mit der verordneten Kindeliteratur nicht stillen konnten. Erstmals hatten Jugendliche auf breiter Basis die Möglichkeit, ihren Lesestoff selbst zu wählen und noch dazu einen, der in keiner Weise den pädagogischen Vorstellungen der erziehenden Generation entsprach. Der Konflikt war vorprogrammiert, konnte aber wegen des Ausbruches des zweiten Weltkrieges, der auch die Romanheftproduktion zum Erliegen brachte, nicht mehr voll ausgetragen werden.
Gleichzeitig tauchten ab Mitte der 20er Jahre auflagenstarke Kinderzeitungen auf, die meist ohne jeden pädagogischen oder weltanschaulichen Aspekt primär der Unterhaltung des jungen Publikums dienten und oft erschreckend banal- aber lustig- waren. Damit warf erstmals die Konsumgesellschaft auch auf dem Gebiet der Unterhaltungsmedien ihren Schatten voraus und es wurde das Prinzip, wonach Kinderliteratur immer auch erzieherisch zu wirken hatte, durchbrochen.
Es wird daher nicht verwundern, dass Kinderzeitungen zwar nicht mit Groschenheften in einen Topf geworfen, aber doch gleich diesen zur Trivialliteratur gerechnet wurden. Auch diese Kinderzeitungen stellten im Laufe des zweiten Weltkrieges ihr Erscheinen ein.
Für die Zeit nach 1945 berichte ich nur über die Situation in Österreich, die ja das eigentliche Thema meiner Darstellung ist. Allerdings, es gibt zunächst nicht viel zu berichten. Man darf sich nämlich nicht vorstellen, dass es in den späten 40er Jahren und Anfang der 50er Jahre einen Aufbruch in geistiger und literarischer Hinsicht gab, der auch auf dem Gebiet der Kinderliteratur spürbar wurde. Rückblickend sehen wir im Ende des zweiten Weltkrieges eine Nahtstelle der Zeiten. Das stimmt auch aus historischer Sicht. Aber in den Köpfen der meisten Menschen, die diese Zeit hautnah erlebten, fand kein Umdenken statt. Man war froh überlebt zu haben. Der wirtschaftliche Aufschwung war beeindruckend, aber die alten hierarchisch ausgerichteten, intoleranten Gesellschaftsstrukturen blieben in modifizierter Form voll wirksam und verhinderten auch einen Neubeginn auf dem Gebiet der Kinderliteratur. Das Angebot an Kinderliteratur wurde notwendigerweise von nationalsozialistischem Gedankengut befreit, reduzierte sich aber im Übrigen auf den Bestand der Zwischenkriegszeit. Wie ein einsames Leuchtfeuer steht die deutsche Veröffentlichigung von Astrid Lindgren's 'Pippi Langstrumpf' in dieser Zeit . Die Geschichte eines kleinen Mädchens, das ganz ohne Erwachsene, die ihr sagen, was sie tun soll, auskommt und ein frohes, von Konventionen unbeschwertes Leben in ihrer Villa Kunterbunt führt, wurde bei Kindern ein Renner, stieß aber bei den Erziehenden der alten Schule auf Befremden und Unverständnis, bis hin zu heftiger Ablehnung. Erst in den 50er und 60er Jahren entstand nach und nach eine neue Generation von Kinderbüchern, wobei vor allem die Verlage Jugend und Volk und Jungbrunnen Vorreiterrollen spielten.
Kehren wir aber zunächst in die zweite Hälfte der 40er Jahre zurück. Weder für Erwachsene noch für Kinder gab es im Österreich der frühen Nachkriegszeit ein entsprechendes Angebot an unterhaltsamer Literatur, obwohl eine große Nachfrage bestand. Dieses Vakuum wurde rasch gefüllt einerseits durch die großen Kinderzeitungen der Nachkriegszeit, die meist qualitätsvoller waren, als ihre Vorgänger in der Zwischenkriegszeit, andererseits durch eine geradezu ausufernde Romanheftproduktion. Denn Romanhefte ließen sich rasch und billig produzieren und durch den Vertrieb über Trafiken und Zeitungskioske auch leicht und flächendeckend an den Mann bringen.
Es geschah das, was bereits in der Zwischenkriegszeit begonnen hatte. Ältere Kinder und Jugendliche griffen begeistert nach diesen an sich für ein erwachsenes Publikum bestimmten Produktionen, die bald die Rolle einer Subliteratur für Jugendliche spielten. Die Reaktion der 'Jugendschützer' und Befürworter des 'guten' Jugendbuches war überaus heftig und löste den 'Kampf gegen Schmutz und Schund' neuerlich und zumindest in Österreich mit einer zuvor nicht gekannten Schärfe aus.
Bevor wir uns aber dem Verlauf dieser Auseinandersetzung zuwenden, wollen wir die Frage stellen, warum diese 'Schundhefte' (auch) für Kinder so anziehend wirkten (oft viel anziehender als 'gute' Jugendbücher) und uns in die Niederungen der Trivialliteratur begeben.