In den 50er Jahren wurde einem Comic (Bildstreifen), selbst wenn man ihm keine die Indizierung rechtfertigende Gefährdungseignung zuschreiben konnte, grundsätzlich unterstellt, der gesunden geistigen Entwicklung und Bildung der Jugend hemmend im Wege zu stehen und durch Entwertung des echten Bildes und der menschlichen Sprache als Verständigungsmittel der geistigen Verflachung und Verkümmerung Vorschub zu leisten. Auf dieser Ebene wurde in Österreich der Kampf gegen die aus Deutschland kommenden, dort seit 1954 bereits vorzensurierten Comics geführt.
Sehen wir uns zunächst an, wovon die Rede ist. Als Auswahlkriterium für mein Beispiel habe ich den Erfolg genommen, den diese Serie hatte. Sigurd war eine der erfogreichsten Serien ihrer Art, wenn nicht überhaupt die erfolgreichste. Sie fand weiteste Verbreitung, war allgemein bekannt und wird auch heute noch (50 Jahre später) für Nostalgiker teilweise sogar mit neuen Folgen herausgegeben.
Die Reihe erschien im sogannten Piccoloformat (17cm x 8cm) und erreichte mit der ersten Serie zwischen 1953 und 1960 (Neuauflagen und Fortsetzungen auch im grossen Heftformat sollten folgen) 324 Einzelhefte. Bildbeispiele aus dem Inneren wurden schon auf der Vorseite gezeigt. Es handelt sich um eine Rittergeschichte, die vage vom Nibelungenlied inspiriert zu sein scheint. Ein Einzelheft hat abgesehen vom bunten Umschlag 32 Seiten in schwarz-weiß, Auf einer Seite befinden sich meist zwei Bilder. Die Zeichnungen sind einfach und wirken etwas unbeholfen. Die Handlung der Geschichten ist geradlinig, sehr einfach und anspruchslos und entspricht etwa der Vorstellungswelt eines 10 jährigen Kindes. Die Erzählungen werden in der typischen Kombination von Bild und Text recht flüssig vorangebracht. Ein geübter Leser kann so ein Heft in wenigen Minuten konsumieren. Ein Kind, das sich etwas länger mit den Zeichnungen beschäftigt, wird dazu nicht mehr als etwa 15 Minuten brauchen. Ein Heft kostete in Österreich S 1,50. |
Was waren nun die konreten Einwände, die von Jugendschützern gegen Comics erhoben wurden:
Kinder werden durch das Lesen von Comics in Phantasiewelten verfangen und versäumen es, sich mit Problemstellungen auseinanderzusetzen, die sie auf das Leben als Erwachsene vorbereiten.
Im Kern ist das die alte Diskussion um den Unwert der Trivialliteratur, verschärft durch den Erziehungsanspruch der älteren Generation.
Die Comics dieser Zeit waren Trivialliterur, ausschließlich als Unterhaltungsmedium für Kinder bestimmt.
Schon Platon hatte befürchtet, dass junge Männer durch das Lesen phantastischer Schilderungen in 'Schauder' und schädliche 'Fiberhitze' verfallen könnten. Cervantes ließ seinen Helden Don Quichotte durch das unmäßige Lesen von Ritterromanen verrückt werden 'wie einen Märzhasen' und die Zensurvorschrift des Kaiser Franz vermeinte um 1800, dass (der anspruchslose Unterhaltungsroman) "die Einbildungskraft mit Hirngespinnsten füllt, weder auf den Verstand noch auf das Herz vortheilhaft wirkt, vielmehr Ausgeburten einer scheußlichen Phantasie und gefährliche Hirngespinnste verschrobener Köpfe enthält". Die Bundesprüfstelle schloß sich dieser Argumentantionslinie an und urteilte hinsichtlich zweier Tarzancomics: Sie würden auf Jugendliche nervenaufpeitschend wirken und sie in eine unwirkliche Lügenwelt versetzen. Derartige Darstellungen seien das Ergebnis einer entarteten Phantasie.
Die Erfahrungen der letzten 50 Jahre haben gezeigt, dass sich die damit verbundenen Befürchtungen nicht bewahrheitet haben. Weder die begeisterten Leser von trivialen Heftromanen noch die jungen Comicleser jener Zeit haben bleibenden Schaden genommen und sind auch nicht, wie man ihnen vorhergesagt hat, an ihrer Lektüre verblödet und lebensuntüchtig oder gar kriminell geworden.
Dennoch sollte man sich hüten, den damaligen Sorgen der Jugendschützer nur mit Spott zu begegnen. Denn wenn heute Fälle erörtert werden, in denen junge Menschen durch das geradezu suchthafte Eintauchen in die virtuellen Scheinwelten von Computerspielen den Bezug zur Realität so weit verlieren, dass sie auf ihre soziales Umfeld aggressiv reagieren und sich überhaupt keiner nützlichen Beschäftigung mehr hingeben, ist das genau dieselbe Argumentation wie damals. Nur das Medium und die Wortwahl hat sich geändert.
Durch den Konsum von Comics werden Kinder in ihrer Leseerziehung beeinträchtigt und laufen Gefahr, später keine umfangreicheren, komplizierteren Texte lesen zu können oder zu wollen.
Dahinter stand der methodische Ansatz der hauptsächlich vom Buchklub der Jugend geförderten Lesemotivation und Leseerziehung. Vereinfacht gesagt sollten Kinder durch das stufenweise Heranführen von einfachen zu sprachlich und inhaltlich immer anspruchsvolleren Texten in die Lage versetzt werden, sich mit dem geschriebenen Wort in seiner ganzen Vielfalt beschäftigen zu können. Dazu wurden Bücher und Texte angeboten, die genau auf das jeweilige Lesealter abgestimmt waren. Es versteht sich, dass Comics, die gerade jene Altersgruppen ansprachen, in denen sich der Übergang von einfacher, kindergerechter Literatur zu anspruchsvolleren Themen vollziehen sollte, diesen Bemühungen im Wege standen.
Es wurde besonders befürchtet, Comicleser könnten sich daran gewöhnen, Informationen durch das Überfliegen einfacher, bildgestützter Textfragmente zu gewinnen und dadurch ein Leseverhalten zu entwickeln, in welchem sie sich mit umfangreicheren Prosatexten nicht mehr beschäftigen konnten oder wollten.
Comicverlage versuchten diese Bedenken, die auch in Deutschland, wo die Hefte entstanden, geäußert wurden, dadurch zu begegnen, dass sie in die grossformatigen Hefte redaktionelle Teile aufnahmen, die aus Textbeiträgen bestanden. Das soll an einem willkürlich gewählten Beispiel veranschaulicht werden. Im Heft Tarzan Nr. 53 (Mondial) finden sich folgende ganzseitige Textbeiträge, welche die Comicerzählung unterbrechen: Die Perlenfischer (Bericht), Rothäute vom alten Schlag (Bericht über Indianer), Hockey (Kurzbeschreibung mit Fotos), König wieder Willen (zweiseitiges Märchen), Amerigo Vespucci (Artikel), Deine Heimat (Der Dom zu Köln), Kreuzworträtsel, Der geheilte Patient (Märchen). Die Hefte näherten sich dadurch teilweise den alten Kinderzeitungen mit ihren vermischten Beiträgen an, allerdings ohne den Zorn der Jugendschützer besänftigen zu können.
Obwohl es nicht ausdrücklich erwähnt wurde, ging es zwar um Leseeziehung, weil aber nichts umsonst ist, natürlich auch um Marktanteile. Denn die mit dem Buchklub der Jugend kooperierenden Verlage mussten die Erfahrung machen, dass das 'gute' Jugendbücher den Kindern mit gewissem schulischen Druck nahegebracht werden musste und dennoch nicht im entferntesten solche Auflagenzahlen erreichte wie der 'Schund'.
Auch wenn einzelne Bilder durchaus ansprechend sein mögen, so haben Comics doch nichts mit Kunst zu tun; sie sind vielmehr ein Symptom des sich abzeichnenden Kulturverfalls und des Niedergangs der (deutschen) Sprache.
Man muss sich vor Augen halten, dass die Menschen in den ersten Jahren nach dem Krieg eine Art Kulturschock erlitten. Gewiss, durch eine vernichtende militärische Niederlage war man vom Nationalsozialismus befreit worden. Dafür hatte man dankbar zu sein; aber diese Dankbarkeit hielt sich in Grenzen. Viele Städte lagen in Trümmer, die materielle Not war gross, die Sieger teilten das Land untereinander auf und begannen der Bevölkerung nicht nur ihre Schuld (die für viele nicht zu bestreiten war) vor Augen zu halten, sondern sie auch gezielt umzuerziehen. Die einen im Sinne eines strammen Kommunismus, die anderen im Sinne des amerikanischen Demokratieverständnisses. Vieles von dem was den Leuten vorher wertvoll und richtig erschienen war, galt nichts mehr und war nachhaltig diskreditiert. Eine Abwehrhaltung gegen alle Neuerungen, die dem tradierten Kulturverständnis zuwiderliefen, war die Folge und wirkte noch Jahrzehnte nach.
Comics sind in diesem Zusammenhang nur ein unbedeutender aber symptomatischer Aspekt. Sie galten den Leuten als Vorboten eines von Amerika ausgehenden Niederganges bisheriger kultureller Werte, als ein Zeichen für die sich anbahnende kulturelle Verfremdung und Verflachung.
Dazu kommt, dass die Leute mit Comics auch nichts anzufangen wussten. Erwachsene, die mit schöngeistiger Literatur gewiss nichts im Sinn hatten und massenhaft Schundhefte lasen, konnten Comics - das klingt überraschend - nicht so lesen, dass sie Vergnügen dabei hatten. Selbst ältere Kinder, die erstmals mit Comics in Berührung kamen und vorher so etwas noch nicht gesehen, zeigten sich anfangs überrascht und sogar irritiert, gewannen aber anders als Erwachsene bald Gefallen an der Sache.
Comicfreunde weisen oft darauf hin, dass Comics inzwischen eine anerkannte Kunstform sind. Das ist nicht ganz so. Die meisten Comics haben mit Kunst überhaupt nichts zu tun, sondern dienen trivialer Unterhaltung und werden massenhaft aus kommerziellen Gründen hergestellt. Comics, denen man ernsthaft künstlerischen Wert zubilligen kann, gibt es, aber sie sind die seltene Ausnahme. Das, womit es die Leute in der frühen Nachkriegszeit zu tun bekamen, war aus heutiger Sicht fast nur mittelmäßig bis schlecht; da hatten die Jugendschützer schon recht. Dass es uns trotzdem gefallen hat, ist eine andere Sache.
Da die Jugendschützer und die mit ihnen kooperierende Lehrerschaft durch Überzeugungsarbeit wenig erreichten, die bestehenden Jugendschutzbestimmungen keine hinreichende Handhabe boten, um gegen die aus Deutschland kommenden, bereits 'bereinigten' Comics vorzugehen, wurde über eine Verschärfung der Gesetzeslage diskutiert.
1956 kam es zu einer von der Regierung ausgehenden Gesetzesinitiative, die Maßnahmen vorsah, den Import von Comics zu verbieten und bei sonstiger Strafe Comics generell vom Verkauf an Personen unter 16 Jahren auszuschließen, weil sie 'schon allein durch die primitive Art der Darstellung sowie durch die mangelhafte Sprache und den schlechten Stil des Begleittextes eine Gefahr für die geistige Entwicklung jugendlicher Personen darstellen'.
Die eine Indizierung rechtfertigende Gefährdungseignung des Pornographiegesetzes, die auf eine mögliche Irreleitung des Geschlechtstriebes jugendlicher Personen oder deren mögliche Verleitung zu Straftaten abstellte, sollte also um eine erzieherische, kulturpolitische Komponente erweitert und generalisiert werden.
Man muss kurz innehalten um die Bedeutung dieses Vorhabens zu begreifen. Die aliierten Besatzungstruppen hatten Österreich vor einem Jahr verlassen. Österreich war als freier demokratischer Staat wiedererstanden, es herrschten Aufbruchsstimmung und die Hoffnung auf eine neue bessere Zukunft. Die geplanten Gesetzesänderungen und vor allem die ihnen innewohnende Tendenz hätten eine Grenze überschritten und mit ihren vorhersehbaren Weiterungen die Möglichkeit eröffnet, das Land weit über die Bedeutung der Comics hinaus in die Fesseln eines von manchen Politikern durchaus gewünschten, ideologisch - kulturpolitisch motivierten Zensursystems zu schlagen, an dem der auch für sein umfassendes Zensurwesen berühmt Staatskanzler Metternich seine Freude gehabt hätte. Letztlich kam es nicht dazu, weil man erkannte, dass ein solches Vorgehen mit der Verfassung nicht mehr in Einklang zu bringen. war.
Man gewöhnte sich also schön langsam daran, Comics als eher unerwünschte Subform der Kinder - und Jugendliteratur anzusehen und zu tolerieren. Ansehen genossen Comics deswegen noch lange nicht, auch nicht als sich etwa in den 70er Jahren Comics etablierten, die in teuren Alben erschienen und im Gegensatz zu den Heften teilweise recht anspruchvolle Comics für Erwachsene boten. Bis weit in die 70er Jahre hinein galt es für Erwachsene als peinlich Comics zu lesen. Sieht man von den 'bekennenden' Comiclesern unter den Erwachsenden ab, hat sich daran bis heute nicht viel geändert. Ausnahmen bilden lediglich Kultserien wie "Asterix", deren Lektüre selbst unter Gebildeten als 'schick' gilt, weil man dadurch seine Weltoffenheit demonstrieren kann.
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